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„Alle Studien zeigen, dass sich der Zustand der biologischen Vielfalt verschlechtert“

Ein aktueller Beitrag aus unserer Biodiversitäts-Reihe: Was die Wissenschaft leisten kann, um Biodiversität zu schützen, darüber haben wir mit Judith Reise, Wissenschaftlerin am Öko-Institut, gesprochen.

Biodiversität lässt sich auf vielfältigen Wegen schützen. Durch einen nachhaltigen Konsum zum Beispiel, oder auch durch angewandte Forschung und Datenerhebungen. Für unsere Blog-Reihe zur Biodiversität haben wir mit unterschiedlichen Akteur*innen gesprochen, die sich für den Schutz von biologischer Vielfalt und der so genannten Ökosystemleistungen einsetzen.

Heute: Judith Reise, Wissenschaftlerin am Öko-Institut.

[caption id="attachment_6720" align="alignright" width="348"] Im Interview mit eco@work: Judith Reise Quelle: Öko-Institut[/caption]

Besonders erfreulich ist es oft nicht, was die Wissenschaft zur Biodiversität zu sagen hat. „Alle Studien zu diesem Thema zeigen, dass sich der Zustand der biologischen Vielfalt im Mittel verschlechtert“, sagt Judith Reise. Das Aussterben von Arten ist ein Teil der Evolution und somit ein natürlicher Prozess. Der Mensch jedoch hat den Verlust von Biodiversität und der so genannten Ökosystemdienstleistungen massiv vorangetrieben – und zerstört damit die Grundlagen seines eigenen Lebens und Überlebens. Insbesondere die Landwirtschaft bedroht die Biodiversität massiv: Laut UNEP ist sie für 86 Prozent der vom Aussterben bedrohten Arten die größte Gefahr. „Gleichzeitig wissen wir erstaunlich wenig darüber, wie das komplexe Zusammenspiel der Arten mit ihrer Umwelt genau funktioniert. Außerdem fehlen uns zu vielen Arten genaue Daten, um ihren Zustand einschätzen zu können, ganz davon abgesehen haben wir viele Arten auch noch gar nicht entdeckt.“

 

Biodiversität und Klima zusammendenken – Aufgabe der Wissenschaft

In ihrer Forschung legt die Wissenschaftlerin vom Öko-Institut immer wieder ein Augenmerk darauf, die Themen Biodiversitäts- und Klimaschutz zusammen zu denken – „denn sie sind eng miteinander verknüpft“. Das zeigt sich zum Beispiel beim Thema Wald. Denn Wälder binden als natürliche Senken nicht nur große Mengen Kohlendioxid und dienen somit dem Klimaschutz. „In ihnen sind gleichzeitig unzählige Tier- und Pflanzenarten zu Hause, oft auch solche, die besonderen Schutz brauchen. Außerdem regulieren Wälder nicht nur das Klima, sondern auch den Wasserhaushalt und dienen zusätzlich dem Bodenschutz.“ Bei ihrer Arbeit – etwa im Projekt „Exploratory Analysis of an EU Sink and Restoration Target“ für Greenpeace Deutschland – zeigt Judith Reise gemeinsam mit ihrem Kollegen Dr. Hannes Böttcher daher auch, wie der Landnutzungssektor nachhaltig gestaltet werden kann. „Schon heute sind zum Beispiel Wälder stärker bedroht, etwa in Folge von Stürmen und Trockenheit. Eine nachhaltige Waldwirtschaft, die natürliche Strukturen wie etwa Totholz und alte Bäume fördert, aber auch der Schutz von Primärwäldern sind unumgänglich, für das Klima ebenso wie für die Biodiversität.“

 

Biodiversität schützen – Strategien, Instrumente, neue Ansätze

Das Öko-Institut beschäftigt sich auf vielen unterschiedlichen Ebenen mit der Frage, wie Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen geschützt werden. Es widmet sich politischen Strategien und Instrumenten ebenso wie der Frage, was die Konsument*innen tun können, um die biologische Vielfalt zu erhalten.

Darüber hinaus können neue Ansätze dabei helfen, die Anforderungen der Landwirtschaft und den Biodiversitätsschutz zu verbinden – so etwa mit Blick auf die so genannten Paludikulturen. Darunter versteht man Nutzpflanzen, die auf wiedervernässten organischen Böden (Moorböden) angebaut werden können und dabei den Torfkörper erhalten – so etwa Schilf für Reetdächer, Torfmoose als Kultursubstrat für den Gartenbau oder auch Bau- und Dämmstoffe aus Rohrkolben. „Moore sind wichtige CO2-Speicher, sie wurden jedoch in Deutschland in großem Umfang für die Landwirtschaft trockengelegt, wodurch jährlich sehr hohe Emissionen entstehen, da sich der Torf immer weiter zersetzt“, so Judith Reise, „die Wiedervernässung dieser Böden trägt dazu bei, dass der Torfkörper geschützt wird und deutlich weniger Emissionen freigesetzt werden. Außerdem würden diese neuen Feuchtgebiete wertvolle Lebensräume für verschiedene Arten darstellen. So sind zum Beispiel Amphibien, viele Insekten wie Libellen oder Zikaden und viele Vögel wie der Kranich, Kiebitz oder der große Brachvogel an feuchte Lebensräume angepasst.“ Die Wiedervernässung muss aber nicht allein der Artenvielfalt dienen. „Paludikulturen sind dann mögliche neue Rohstoffe und ermöglichen weiterhin eine nachhaltige landwirtschaftliche Nutzung. Und auch Wasserbüffel fühlen sich übrigens auf nassen Böden sehr wohl.“

Im Projekt „PaluDivers – Entwicklung und Begleitung der Erprobung naturschutzfachlicher Mindeststandards für den Erhalt und die Förderung der Biodiversität bei künftigen Paludikulturen auf landwirtschaftlichen Flächen“ widmet sich das Öko-Institut gefördert vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) noch bis August 2023 der Frage, wie nasse organische Böden nachhaltig landwirtschaftlich genutzt werden können. „Gemeinsam mit der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde sollen hier naturschutzfachliche Mindeststandards entwickelt werden, damit dies möglich ist“, so die Wissenschaftlerin, „wir analysieren bestehende Paludikulturprojekte und entwickeln außerdem ein biodiversitätsorientiertes Monitoring.“

So kann die Wissenschaft dabei helfen, Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen zu schützen, und gleichzeitig der Landwirtschaft neue Wege zeigen. Und in Zukunft möglicherweise auch wieder häufiger erfreuliche Dinge zum Thema Biodiversität sagen – vielleicht, wie gut sich die Artenvielfalt auf wiedervernässten organischen Böden in Deutschland entwickelt.

Die Forschungsschwerpunkte von Judith Reise liegen unter anderem auf dem Schutz und der Wiederherstellung von kohlenstoffreichen Ökosystemen, Synergien zwischen Biodiversitäts- und Klimaschutz sowie Waldökologie und nachhaltiger Waldbewirtschaftung. Die Wissenschaftliche Mitarbeiterin aus dem Bereich Energie & Klimaschutz des Öko-Instituts hat einen Bachelor of Science Biodiversität und Ökologie (Universität Göttingen) sowie einen Master of Science Global Change Ecology (Universität Bayreuth).

 

Weitere Informationen

Themenseite „Biodiversität – biologische Vielfalt erhalten und schützen“

Dezember-Ausgabe des Magazins eco@work „Bedrohte Vielfalt – wie kann Biodiversität geschützt werden?“

Projektseite „PaluDivers“ auf der Website der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde

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