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„Atomkraft ist die mit Abstand teuerste Stromerzeugungstechnologie“

Laut dem Energieökonom Prof. Dr. Christian von Hirschhausen hat sich die Nutzung der Atomkraft zur Energieerzeugung in keinem Moment der Geschichte ökonomisch gelohnt.

Wer heute auf die Kernenergie blickt, fragt meist: Wie sicher ist sie? Was geschieht mit ihren Abfällen? Welchen Beitrag kann sie zum Klimaschutz leisten? Weitaus seltener wird die Frage gestellt: Lohnt sie sich wirtschaftlich? Prof. Dr. Christian von Hirschhausen, Leiter des Fachgebiets Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik an der Technischen Universität Berlin und Forschungsdirektor Internationale Infrastrukturpolitik und Industrieökonomie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) trifft dazu eine klare Aussage: „Die Nutzung der Atomkraft zur Energieerzeugung hat sich in keinem Moment der Geschichte ökonomisch gelohnt. Es gibt bis heute kein einziges Atomkraftwerk, das Geld erwirtschaftet hätte. Ganz im Gegenteil: Es entstehen immense Verluste.

Nicht wirtschaftlich, nicht wettbewerbsfähig

Der Energieökonom geht noch einen Schritt weiter: Auch wettbewerbsfähig sei die Kernenergie nicht. „Es ist die mit Abstand teuerste Stromerzeugungstechnologie. Auch erneuerbare Energien sind günstiger als die Atomkraft.“ Belegt hat Christian von Hirschhausen die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit mit anderen Wissenschaftler*innen bereits 2018 mit einer Studie am DIW. „Wir haben uns alle 674 Reaktoren angeschaut, die seit 1954 weltweit gebaut wurden. Keine dieser Anlagen ist unter wettbewerblichen Rahmenbedingungen mit privatem Kapital entstanden.“ Die hohen Kosten der Kernenergie resultierten zudem nicht allein aus dem Bau, dem Betrieb und der Wartung der Anlagen. Sondern auch aus den Aufwendungen für den Rückbau von Reaktoren und für die Endlagerung des radioaktiven Mülls. „Diese Kosten werden jedoch in der Regel von der Gesellschaft getragen.“ Zu Beginn der Kernenergienutzung sei zudem deutlich unterschätzt worden, wie teuer sie tatsächlich ist. „Auch, weil aufgrund von Sicherheitserwägungen immer wieder nachgebessert werden musste.

Unkontrollierbare Risiken

Die technische Faszination für die Kernenergie versteht Christian von Hirschhausen durchaus. „Es ist unvorstellbar, welche Energie die Kernspaltung freisetzt.“ Und so ist es für ihn nur allzu verständlich, dass eine ganze Generation an eine langfristige Perspektive dieser Energieform glaubte. So auch sein Vater, ein Chemiker. „Diese Perspektive gab es aber nur scheinbar. Bei der Betrachtung wurden wichtige ökonomische und gesellschaftliche Fragen ausgeklammert sowie Gefahrenpotenziale vernachlässigt.“

Denn trotz aller Nachbesserungen ist die Atomkraft für den Wirtschaftswissenschaftler keine Technologie, die zur Energieerzeugung genutzt werden sollte. „Die Kernenergie hat unkontrollierbare technische und gesellschaftliche Risiken. In Sekundenbruchteilen kann es zur Katastrophe kommen – das hat Tschernobyl ebenso gezeigt wie Fukushima. Auch in Deutschland, dessen Reaktoren sehr zuverlässig sind, ist ein Unfall nicht ausgeschlossen.“ Weitere Gefahren ergeben sich zudem aus Risiken beim Transport von atomaren Abfällen sowie aus der Nutzung der Technologie für Kernwaffen. „Eine Gefahr, die in den Diskussionen kaum benannt wird, ist zudem, dass Kernkraftwerke im Kriegsfall zur Zielschreibe von Angriffen werden können – wie wir es schon seit Monaten in der Ukraine sehen“, ergänzt der Forschungsdirektor

Wider die Ökonomie

Doch wenn die Kernenergie nicht nur unökonomisch, sondern auch hochriskant ist – warum gibt es nach wie vor Länder, die auf sie setzen? Professor Christian von Hirschhausen sieht hierfür unterschiedliche Ursachen. „Viele Atommächte wie etwa Frankreich setzen auf die zivile Nutzung der Kernkraft, weil sie sich die militärische Nutzung sonst nicht leisten könnten“, sagt er. „Außerdem spielen oft geopolitische Erwägungen eine Rolle – das sieht man etwa an Nordkorea, Indien und Pakistan, aber auch dem Iran.“ Staaten, die neu in die Kernenergie einsteigen, so etwa Bangladesch oder die Türkei, seien zudem oft wenig demokratisiert. „Da gibt es dann auch keine bereite öffentliche Diskussion darüber, ob das sinnvoll ist.“

Russland – „übrigens das einzige Land weltweit, das heute in der Lage ist, großskalig Atomkraftwerke zu bauen“ – sei zudem sehr aggressiv beim Export der Kernenergie und betreibe „nukleare Diplomatie“: „Die Reaktoren werden von Russland nicht wettbewerblich verkauft, sondern mehr oder weniger verschenkt. Die Rückzahlung erfolgt erst, wenn die heutigen Eliten nicht mehr an der Macht sind. Die Länder, die sich der Kernenergie zuwenden, sollen so zudem in eine Abhängigkeit gebracht werden.

Nur zwei Drittel genutzt

Eigentlich bereits genug Argumente gegen die Kernenergie. Doch im Gespräch bringt Professor von Hirschhausen ein weiteres auf: das Thema Zuverlässigkeit. „Atomkraftwerke bieten keine verlässliche Grundstromversorgung“, erklärt er. „Ein Drittel der Kapazitäten der weltweiten Atomkraftwerke wurden seit den 1970er Jahren nicht genutzt. Weil Reparaturen anstanden oder es Brennstoffwechsel gab, weil kein Kühlwasser zur Verfügung stand oder technische Mängel vorlagen.“

Wer heute auf die Kernenergie blickt, sollte daher bei Weitem nicht nur Sicherheit, Abfallentsorgung und Klimaschutzpotenzial betrachten. Sondern eben auch die Fragen stellen: Wie wirtschaftlich und wettbewerbsfähig ist sie? Wie zuverlässig versorgt sie uns mit Strom? Und: Wer profitiert wirklich von ihrer Nutzung?

Prof. Dr. Christian von Hirschhausen studierte Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsingenieurwesen. Er promovierte 1995 zur Privatisierung osteuropäischer Kombinate an der École nationale supérieure des mines de Paris. Heute leitet er das Fachgebiet Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik an der Technischen Universität (TU) Berlin, wo er 2002 habilitierte. Darüber hinaus ist er als Forschungsdirektor für das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin tätig. Sein Fokus liegt unter anderem auf der Transformation des Energiesystems, der Rolle der Kernenergie sowie insbesondere ökonomischen Fragen rund um Infrastrukturen, Energieversorgung, Umwelt und Ressourcen.

Weitere Informationen

Mitarbeiterseite von Prof. Dr. Christian von Hirschhausen auf der Website der TU Berlin

Wikipedia-Seite über Prof. Dr. Christian von Hirschhausen

Dossier "Atomkraft“ auf der Website des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW)

Ted-X-Talk “Do we need nuclear energy to save the climate?

Pressemitteilung des DIW “Zehn Jahre nach Fukushima – Kernkraftwerke bleiben störanfällig und unzuverlässig“

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