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„Die Menschen müssen sehen, dass ihr Beitrag relevant ist“

Was macht transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung aus? Gemeinsam mit Wissenschaft und Praxis Lösungen für die großen Herausforderungen zu finden, meint Prof. Dr. Flurina Schneider.

Viele Wissenschaftler*innen, mit denen man über die transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung spricht, tun sich schwer mit dem Begriff. Sperrig sei er, am Anfang schwer zu behalten und dann fast ebenso schwer zu vermitteln. Auch Prof. Dr. Flurina Schneider hadert mit ihm, sagt aber ebenso: „Das, was transdisziplinäre Forschung ausmacht, die Einbeziehung unterschiedlicher Wissensformen, Perspektiven und Erfahrungen, ist gleichzeitig so einleuchtend. Etwas, das für jede*n schnell Sinn ergibt. Denn die großen gesellschaftspolitischen Herausforderungen können wir nur gemeinsam lösen.“ Daher müsse man eine Brücke schlagen, eine gemeinsame Sprache finden. Auch und vor allem, wenn es darum geht, Menschen dafür zu begeistern, am sozial-ökologischen Wandel mitzuwirken, das transdisziplinäre Arbeiten zu unterstützen. „Dazu gehört für mich die Frage, wie ich den Menschen begegne. Sie merken ja sehr schnell, ob man ihnen wirklich zuhört oder nicht. Und ob man das, was man hört, gleichwertig gewichtet. “

Eine Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis hat die wissenschaftliche Geschäftsführerin des ISOE - Institut für sozial-ökologische Forschung schon oft geschlagen, auch in ihrer früheren Tätigkeit als Lehrbeauftragte. „An der Universität Bern, wo ich lange tätig war und auch habilitiert habe, sind wir zum Beispiel mit den Studierenden immer wieder ins Feld gegangen. Haben uns mit Landwirt*innen getroffen, wenn es um eine nachhaltige Landwirtschaft ging. Viele realisieren dann, wie weit weg ihre Forschungsresultate von der Realität der Bäuerinnen und Bauern entfernt sind. Das kann sehr frustrierend sein. Es wird aber auch schlagartig klar, dass dieser Austausch unverzichtbar ist, wenn man tragfähige Lösungen finden will.“

Prof. Dr. Flurina Schneider hat Geografie studiert, Jura und Biologie. Weil sie die Schnittstelle zwischen Natur und Gesellschaft interessiert. Weil sie weiß: Wenn sie etwas gestalten will, braucht sie neben naturwissenschaftlichem Wissen auch Kenntnisse aus den Sozialwissenschaften. Deshalb ist für sie die Einbeziehung unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen in die Entwicklung von Lösungen für die großen Herausforderungen unserer Zeit zentral. „Es gibt aber auch Disziplinen, die dazu prädestiniert wären, sich zu beteiligen, es aber bislang noch wenig tun. So konzentrieren sich Soziolog*innen nach meinem Eindruck bislang noch sehr stark rein auf gesellschaftliche Fragen.“ Einen starken Trend sieht sie im Kunstbereich. „Viele Künstler*innen fangen an, sich mit der notwendigen Transformation zu beschäftigen und bringen dabei einen ganz anderen Zugang mit, der die Gefühle anspricht und damit eine ganz andere Ebene aufmacht als es mit einem rein wissenschaftlich-kognitiven Ansatz möglich ist.

Relevanz verdeutlichen, auf die Menschen eingehen

Doch wie gelingt es, dass die Menschen nicht nur zuhören und ihre eigenen Erfahrungen teilen, sondern sich in transdisziplinären Projekten wirklich engagieren, also mitmachen beim notwendigen Wandel in Richtung Nachhaltigkeit? „Die Menschen müssen sehen, dass die Mitwirkung für ihr eigenes Leben bedeutsam ist. Dass ihr Beitrag wichtig ist und genutzt wird“, sagt Schneider. „Für das transdisziplinäre Projekt selbst ist es ja wichtig, dass sich die relevanten Akteur*innen beteiligen – doch für die Menschen wiederum ist das Forschungsprojekt nicht zwangsläufig wichtig. Deshalb müssen wir immer die Frage stellen: Was bekommen die Beteiligten für sich? Wir müssen Anreize für sie schaffen.“

Schneider ist auch als Professorin an der Goethe-Universität Frankfurt tätig, wo sie sich seit Herbst 2021 im Masterstudiengang Umweltwissenschaft in einem Modul der Sozialen Ökologie, der Verbindung von Gesellschaftlichem und Ökologischem widmet. Diese zusätzliche Rolle sieht sie als sehr bereichernd, aber auch als „großen Spagat“ zu ihrer Tätigkeit am ISOE, das sich schon lange mit der transdisziplinären Forschung beschäftigt. „Die Struktur einer Universität folgt einer ganz anderen Logik, die Fachbereiche sind nach wie vor sehr disziplinär organisiert. Da fällt es selbst den Verantwortlichen, die neue Wege gehen möchten, mitunter schwer umzusteuern.“

Keine Standardantworten

Gleichzeitig ist die transdisziplinäre Forschung oft sehr kleinteilig und differenziert. Sie erforscht Änderungen auf kleinem Raum. Bezieht hierfür zahlreiche Wissenschaftsdisziplinen und Praxisakteur*innen mit ein. Gerade diese Kleinteiligkeit, das „genaue Hinschauen“ sei jedoch wichtig, um wirklich herauszufinden, wie sozial-ökologische Transformationen unterstützt werden können. „Wir müssen die jeweiligen lokalen Situationen, in denen wir uns befinden, gut verstehen, um zu lernen: Wo helfen rein technische Lösungen? Wo braucht es soziale Innovationen und bessere Zusammenarbeit? Hierauf gibt es keine Standardantworten.“ Und vielleicht wird es diese auch nie geben. „Forschung ist nie fertig. Die Probleme, denen wir gegenüberstehen, hören ja nicht auf. Sie verändern sich, so wie sich auch unsere Welt ständig verändert.“ Ihre Arbeit in dieser Forschung findet Flurina Schneider spannend, aber auch herausfordernd. „Hier braucht es eine große Ruhe in der eigenen Haltung, damit man in der Kraft bleiben kann.“

Wider die Handlungsunfähigkeit

Eine Herausforderung sind für sie auch Zielkonflikte. Klassisch: das Windrad, das für den Ausbau der erneuerbaren Energien dringend benötigt wird, aber gleichzeitig in die Natur eingreift. „Damit man angesichts solcher Herausforderungen nicht handlungsunfähig wird, sind unterschiedliche Schritte wichtig. Zunächst muss konkret herausgefunden werden, welche Effekte ein Projekt tatsächlich auf Nachhaltigkeitsziele hat. Wie wirkt sich zum Beispiel das Windrad auf die Energiesicherheit aus? Und welche Effekte hat es auf die Biodiversität? Natürlich muss auch geprüft werden, ob es Alternativen gibt – so vielleicht einen anderen Standort, an dem weniger Auswirkungen auf die Natur zu erwarten sind. Auf Grundlage eines solchen Wissens ist es dann notwendig, Prioritäten zu setzen, und die Entscheidungen in demokratischen Prozessen auszuhandeln. Hierbei können wir Wissenschaftler*innen auf verschiedene Weise unterstützen. Indem wir zum Beispiel Auswirkungen von Maßnahmen auf verschiedene Nachhaltigkeitsziele untersuchen und Alternativen entwickeln, aber auch indem wir die unterschiedlichen Sichtweisen und Interessen der involvierten Akteur*innen sichtbar und damit verhandelbar machen.“

Wissen verbreitern und vermitteln

Auch die Vermittlung von Forschungsergebnissen, von Erfahrungen und Erkenntnissen in die Gesellschaft ist für Professorin Schneider ein notwendiger und kontinuierlicher Prozess. „Das funktioniert zum einen natürlich über die Kommunikation des gewonnenen Wissens sowie in der transdisziplinären Forschung auch sehr viel über Netzwerke. Aber es wäre naiv zu glauben, dass dies automatisch dazu führt, dass jemand an anderer Stelle handelt – vor allem, wenn es keinen akuten Leidensdruck gibt. Wissen verbreitet sich auch und vor allem im Tun, in der persönlichen Erfahrung positiver Wirkungen.“ Sie erzählt von einem Forschungsprojekt zur nachhaltigen Wassernutzung, das sich einer Region mit Wasserknappheit widmete. Davon, wie all die involvierten Akteur*innen aus der Wasserwirtschaft, dem Tourismus, der Landwirtschaft oder auch der Zivilgesellschaft zusammenkamen und gemeinsam betrachtet haben, wie die Wassernutzung optimiert werden kann, um den Folgen des Klimawandels zu begegnen. „Dabei haben sich die unterschiedlichen Sichtweisen gezeigt, aber auch, dass eine Lösung nur gefunden werden kann, wenn man das Problem nicht fragmentiert, sondern aus einer gemeinsamen, großen Perspektive betrachtet. Und dass diese Perspektive schlussendlich allen nutzt.“

Dr. Flurina Schneider schloss ein Studium der Geografie, der Botanik und des Rechts an der Universität Basel ab und habilitierte zum Thema „Transdisziplinäre und transformative Forschung zur nachhaltigen Gouvernanz natürlicher Ressourcen. Für intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit“ an der Universität Bern. Dort leitete sie bis 2020 das „Cluster Landressourcen des Zentrums für Entwicklung und Umwelt (CDE)“. Heute ist die als wissenschaftliche Geschäftsführerin des Instituts für sozial-ökologische Forschung (ISOE) sowie an der Goethe-Universität Frankfurt als Professorin für Soziale Ökologie und Transdisziplinarität tätig. Prof. Dr. Flurina Schneider ist unter anderem Mitglied in der Global Alliance for Inter- and Transdisciplinarity (ITD Alliance) sowie im Steering Committee der Science-Based Pathways for Sustainability Initiative von Future Earth.

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