Spenden

„Eigentlich sollten wir so eine Verantwortung nicht haben müssen“

Wie hat sich die Umwelt- und Klimabewegung zwischen 1977 und 2019 gewandelt? Michael Sailer, bis zum Sommer 2019 Geschäftsführer des Öko-Instituts, im Gespräch mit Famke Hembus und Hannah Blitz von Fridays for Future.

Im August 2018 bestreikte die Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg zum ersten Mal die Schule: Sie demonstrierte für eine ambitionierte Klimapolitik. Ihr Engagement verbreitete sich schnell unter Jugendlichen auf der ganzen Welt. Und so streikten auch in Deutschland bereits im Dezember 2018 zum ersten Mal Schülerinnen und Schüler für den Klimaschutz. Im Januar 2019 fand die erste Fridays for Future-Demonstration in Berlin statt. Mit dabei: Famke Hembus und Hannah Blitz, zwei 16-jährige Schülerinnen aus Berlin. Inzwischen gehören die beiden fest zum Team von Fridays for Future. Für die Berliner Ortsgruppe sind sie unter anderem als Pressesprecherinnen tätig.

Auch Michael Sailer hat schon oft demonstriert: gegen die Kernenergie sowie für Umwelt und Klima. Das erste Mal vor etwa 50 Jahren. Heute blickt er auf eine lange und erfolgreiche Laufbahn als Nuklearexperte, Gutachter und Sachverständiger zu kerntechnischen Fragen, aber auch als Geschäftsführer des Öko-Instituts zurück.

Aus Anlass seines Ausscheidens aus dem Institut im Sommer 2019 haben wir mit Michael Sailer, Hannah Blitz und Famke Hembus über die Umwelt- und Klimabewegung gestern und heute gesprochen, über Gemeinsamkeiten und Unterschiede, Chancen und Herausforderungen. Den ersten Teil des Gesprächs finden Sie in der September-Ausgabe des Magazins eco@work.

 

Michael, im ersten Teil unseres Gesprächs hast du gesagt: Die Politik kommt an den Fridays for Future inzwischen nicht mehr vorbei. Was heißt das für dich konkret?

 

 

Michael Sailer: Dass da eine Kraft ist, auf die sie reagieren muss. Eine typische Reaktion wäre jetzt, ein bisschen was zu machen. Weil es jene Politikerinnen und Politiker gibt, die zwar inhaltlich auch davon überzeugt sind, aber Schwierigkeiten haben, es durchzusetzen. Und dann sind da die anderen Politikerinnen und Politiker, die nicht aus Überzeugung, sondern aus Kalkül handeln. Deswegen ist es eine spannende Frage, was jetzt passiert.

 

Heißt das für dich im Umkehrschluss, dass Hannah und Famke selbst politisch aktiv werden müssten?

Michael Sailer: Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg wäre. In der Politik muss man sich oft verbiegen. Und kann man ja auch auf anderen Wegen politische Entscheidungen beeinflussen – mit wissenschaftlichen Fakten, so wie wir das tun, oder eben mit Aktionen wie jenen der Fridays for Future.

 

Hannah, Famke – wäre es für euch denkbar, dass ihr euch selbst politisch engagiert?

 

Hannah Blitz: Das steht für mich aus Zeitgründen nicht wirklich zur Debatte. Denn die Frage ist doch: Wie lange haben wir noch, um eine Klimakatastrophe abzuwenden? Und wie lange bräuchte ich, um als Politikerin an eine entscheidende Position zu kommen? Und da wäre auch noch die Hürde, dass ich überhaupt nicht wüsste, welcher Partei ich überhaupt beitreten sollte.

 

 

Das Öko-Institut will ja neben der Politik auch die Wirtschaft sowie die Verbraucherinnen und Verbraucher erreichen. Ist das bei Fridays for Future auch so?

Famke Hembus: Auf jeden Fall. Wir vermitteln ja schon den Jüngeren unter uns, dass jeder Mensch einen Unterschied machen kann. Das ist ein wichtiges Thema für uns.

 

Hannah Blitz: Und wir kritisieren natürlich auch die Wirtschaft – egal, ob es um den Abgasskandal geht oder das, was am Hambacher Forst passiert. Wir finden es auch schwierig, wie viele Politikerinnen und Politiker mit der Wirtschaft verbandelt sind.

 

Ihr kommt beide aus Elternhäusern, in denen Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema war und ist. Wie sieht es bei den anderen Fridays for Future-Demonstranten und -Demonstrantinnen aus?

 

 

Famke Hembus: Wir haben schon auch viele Leute, deren Eltern das nicht interessiert und die dann sehen, dass ihre Eltern nicht alles richtig machen. Man lernt ja bei den Demonstrationen auch sehr viel. Ich glaube, in der ganzen bisherigen Zeit bei Fridays for Future habe ich mehr über dieses Thema gelernt als in der Schule. Unsere Demos sind sehr informativ.

Hannah Blitz: Das ist ja auch das Schöne: Wir sind total bunt gemischt. Menschen, die dem Klischee der engagierten Person entsprechen, aber eben auch ganz andere. Wir sind viele. Wir sind bunt. Wir sind unterschiedlich. Aber wir stehen trotzdem alle gemeinsam für eine Sache ein. Das ist auch sehr motivierend.

 

Denkt ihr über mögliche Eskalationsstufen nach? Etwa, wenn in einem Jahr immer noch nicht mehr in Sachen Klimaschutz erreicht ist?

 

Hannah Blitz: Nein. Ich denke, es würde überhaupt keinen Sinn machen, wenn wir radikaler werden. Wenn wir zu Sitzblockaden aufrufen würden, kommen wahrscheinlich auch keine Kita-Kinder mehr zu unseren Demos. Die Menschen, die wir jetzt mitnehmen wollen, würden wir mit einer zu starken Radikalität wahrscheinlich nicht mehr mitnehmen können. Und wir erleben ja auch, dass sich die Menschen bei verschiedenen Bewegungen engagieren. Das sind viele Nadelstiche von unterschiedlichen Seiten und ich glaube, es ist viel effektiver, von verschiedenen Seiten Druck auf die Politik aufzubauen als radikal zu werden.

 

Michael Sailer: Das ist ja auch das Schöne, wenn man eine Bewegung und keine Partei ist. Dann kann man sich aussuchen, wie man sich engagiert. Und es war ja bei vielen Themen ein Problem, dass sich die Bewegung zu sehr radikalisiert hat und dann die Menschen weggeblieben sind. Und eine wesentliche Frage ist ja auch, ob genug Druck da ist. Wenn man zu radikal ist, nimmt man Druck weg, weil man leichter abwehrbar ist.

 

Famke, Hannah – was sind aus eurer Sicht derzeit die größten Herausforderungen für Fridays for Future?

Hannah Blitz: Derzeit die Gefahr, dass die Menschen auf lange Sicht frustriert werden. Es wird schwer, das zu verhindern, wenn die Politik sich quer stellt. Natürlich könnten manche die Frustration als etwas Positives sehen und sagen: Okay, dann engagiere ich mich eben noch mehr. Es kann aber auch sein, dass sie dann sagen: Das war’s dann jetzt, ich lass’ es lieber bleiben.

Famke Hembus: Der Stress ist außerdem ein Problem. Gerade vor den Großdemos. Da wollen natürlich alle, dass es richtig gut wird, und viele übernehmen sich dann auch mal. Da muss man aufpassen. Das ist natürlich auch immer wieder eine absurde Situation: Wir sind noch sehr jung. Eigentlich sollen wir so eine Verantwortung nicht haben müssen.

 

Michael, auch du hast sehr lange gegen die Kernenergie gekämpft bevor der Ausstieg in Deutschland dann endlich Wirklichkeit wurde. Kannst du Tipps geben, wie man mit einer solchen Frustration umgeht?

 

Michael Sailer: Zuerst ist natürlich wichtig, mit der Frustration zu rechnen – das tun die beiden ja schon. Wenn man eine führende Rolle hat, darf man den eigenen Frust zudem nicht zeigen. Bei unseren Demonstrationen gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf in den 1980er Jahren zum Beispiel habe ich mich da manchmal hingestellt und gesagt: Wir gewinnen. Obwohl ich schon selbst nicht mehr daran geglaubt habe. Aber wir haben gewonnen. Und das hätten wir nicht, wenn ich mich hingestellt und meine Zweifel geäußert hätte. Wenn man eine Leitungsrolle hat, muss man sehr genau abwägen, was man sagt und was nicht. Weil das die anderen motiviert oder demotiviert. Das ist mitunter auch ein sehr komisches Gefühl.

 

Viele waren ja sehr beeindruckt von den Demonstrationen der Fridays for Future. Hatten es nicht für möglich gehalten, dass es irgendwann eine Massenbewegung für den Klimaschutz gibt.

Famke Hembus: Und dann ausgerechnet von den Jugendlichen. Den vermeintlich unpolitischen Jugendlichen.

Hannah Blitz: Vielleicht haben wir auch deswegen so eingeschlagen, weil es so unerwartet kam. Weil die Politiker und Politikerinnen eben nicht monatelang Zeit hatten, sich darauf vorzubereiten, wie sie auf uns reagieren, damit sie es sich ja nicht mit uns verscherzen. Wir kamen ja wie aus dem Nichts. Wir hatten am 18. Januar in Berlin den ersten wirklich großen Streikt. Und am 25. Januar waren wir schon über 10.000 Leute.

Michael Sailer: Ich glaube schon auch, dass es einen Überraschungseffekt gab. Man hat die Jugendlichen falsch eingeschätzt, auch, was die Bequemlichkeit und den Konsum angeht.

Famke Hembus: Ja, das Konsumverhalten ist bei uns auch ein großes Thema. Die Jugendlichen haben ja diesen Ruf, immer das neueste Handy haben zu wollen oder die dreißigste Jeans im Schrank. Aber wir versuchen, den Leuten zu vermitteln, dass man es nicht braucht. Dass es kein Verbrechen ist, sich ab und zu was Neues zu kaufen, aber der extreme Konsum einfach nicht geht.

Hannah Blitz: Genau, es geht darum, bewusst zu konsumieren. Wir wollen nicht auf einmal alle Konsum-Nonnen werden, sondern erreichen, dass die Leute sich fragen, woher die Produkte kommen, die sie kaufen und ob sie sie wirklich brauchen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führten Mandy Schoßig und Christiane Weihe.

Famke Hembus und Hannah Blitz, 16-jährige Schülerinnen aus Berlin, engagieren sich seit 2018 für Fridays for Future. Sie sind in der Berliner Ortsgruppe als Organisatorinnen und Pressesprecherinnen tätig. Michael Sailer ist ein renommierter Nuklearexperte und gleichzeitig ein Kritiker der Kernenergie. Zudem war er viele Jahre als Geschäftsführer des Öko-Instituts tätig. Dieses Amt hat er im Sommer 2019 niedergelegt.

Weitere Informationen:

https://fridaysforfuture.de

https://www.oeko.de/e-paper/

Keine Kommentare

Neuer Kommentar

* Pflichtfelder