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Ein Berufsleben zwischen Wissenschaft und Praxis

Die Sozialwissenschaftlerin Dr. Bettina Brohmann verlässt nach über 40 Jahren das Öko-Institut. Ein Rückblick auf ihr Berufsleben zeigt viele der umweltpolitischen Themen der letzten Jahrzehnte.

„Partizipation“ ist der rote Faden, der die Forscherin durch alle Epochen ihres beruflichen Wirkens begleitet hat – bis hin zur transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung.

Dr. Bettina Brohmann, im Öko-Institut „die Tina“ genannt, geht in Rente. Das Ende einer langen Reise, möchte man sagen. Denn seit vier Jahrzehnten arbeitet sie, die eigentlich aus der feministischen Forschung kam, am Öko-Institut in Darmstadt und Freiburg: seit 1980 im Ehrenamt, von 1987 an festangestellt.

Für ihr Studium der Sozialwissenschaft, Psychologie und Soziologie lebte die gebürtige Frankfurterin in Berlin und gehörte dort zur “Sympathisantengruppe” des Öko-Instituts. Die Gruppe um den Ökonomieprofessor Martin Jänicke überlegte 1979, einen Außenposten des Öko-Instituts zu gründen, was der Vorstand aber ablehnte. Nach ihrem ersten Studienabschluss siedelte Bettina nach Karlsruhe und Darmstadt um und schloss sich der „Aktionsgemeinschaft Umweltschutz Darmstadt“ an. Einige der ersten Mitarbeiter*innen des Öko-Instituts in Darmstadt waren in dieser Bürgerinitiative aktiv, die unter anderem den Antiatomkalender herausgab.

Gruppenbild Anfang der 80er Jahre (4.v.r.) Quelle: Öko-Institut Gruppenbild Anfang der 1990er Jahre (4.v.l.), Quelle: Öko-Institut

Heute ist Bettina nicht nur in Darmstadt und der Region bestens vernetzt. Auch unter anderem am Flughafen Frankfurt hat sie einige Spuren hinterlassen. Doch dazu später.

Energiewende: Partizipation von Bürger*innen und Kommunen

Schon an ihrem ersten Projekt lässt sich ablesen, was Bettina – im Rückblick betrachtet – ihr ganzes Berufsleben lang begleiten sollte: Ohne die Beteiligung von Bürger*innen, Kommunen und regionalen Akteuren kann der Umwelt- und Klimaschutz nicht gelingen. Transformation funktioniert nicht ohne Partizipation!

„Damals besaßen wir ziemlich viel Freiheit“, erzählt sie, „ich bin einfach zum hessischen Umweltministerium gegangen und habe gesagt, die Energieberatung für Verbraucher*innen muss verbessert werden und bekam – von Joschka Fischer – das Geld für eine bundesweite Recherche.“ Gemeinsam mit ihrem Kollegen Wolfgang Feist vom Darmstädter Institut Wohnen und Umwelt und der Projektgruppe “AG 4 - lokale und regionale Energiekonzepte” des Energiewendeteams am Öko-Institut konnten neue Standards gesetzt werden. „Uns war klar, dass die Energiewende nur gelingen kann, wenn wir sie auf lokale Füße stellen – auch gegen den Widerstand der großen Energiekonzerne. Rekommunalisierung war ein Stichwort aus der Ideenschmiede Öko-Institut.“

Bettina bei einer Besprechung im Öko-Institut. Quelle: Öko-Institut Bettina bei einer Besprechung im Öko-Institut Mitte der 1990er Jahre (3.v.l.). Quelle: Öko-Institut

Das Thema „neue Energiepolitik“ trieb das Öko-Institut – insbesondere auch nach dem schweren Reaktorunfall 1986 in Tschernobyl – weiter voran. Ein Aufruf des Instituts erreichte 400 kommunale Energie-Initiativen. „

Die Bewegung und die Kommunen zu unterstützen, war ein Baustein der Transformation, auch wenn man das damals noch nicht so benannte“, sagt die Sozialwissenschaftlerin.

Lokale Agenda 21: Internationales Engagement für kommunale Nachhaltigkeitspolitik

Bettina Brohmann nahm an der Eröffnungskonferenz  „World Conference of Local Governments for a Sustainable Future” im Jahr 1990 bei den Vereinten Nationen in New York teil, an der mehr als 200 Kommunalverwaltungen aus 43 Ländern zusammenkamen.

Bettina Brohmann (4.v.r.) bei der Konferenz in New York 1990, Quelle: Öko-Institut Bettina Brohmann (4.v.r.) bei der Konferenz in New York 1990, Quelle: Öko-Institut

Auf der Riokonferenz zwei Jahre später wurde die Agenda 21 beschlossen. Die Leitlinien für nachhaltige Entwicklung fanden ihre kommunale Umsetzung in der Lokalen Agenda 21, woran das Öko-Institut und seine 150 Mitgliedskommunen mitwirkten: „Hier standen wir vor der Frage: Wie setzen wir das um? Wie kommen Kommunen und Unternehmen ins nachhaltige Wirtschaften?” Besonders gut habe es getragen, wenn einzelne Personen in Kommunen mit neuen Ideen Vorreiter waren und sich dann vernetzen konnten. Das Institut hat hierfür Konferenzen organisiert, einen regelmäßigen Newsletter angeboten und Indikatoren zur Bewertung entwickelt.

Sozial-ökologische Forschung: das wissenschaftliche Fundament

Bettinas Arbeit für die „nachhaltige Transformation von unten“ entwickelte sich weiter. Die Themen nachhaltiger Konsum und nachhaltige Energie mündeten schließlich ebenfalls – wie alle vorangegangenen Erfahrungen – in der Mitarbeit an der Programmatik der noch jungen „sozial-ökologischen Forschung“. Auch wenn es Optionen gab, eine Professur kam für Bettina Brohmann nicht infrage. „Ich wollte nicht im akademischen Betrieb arbeiten. Mir war es auch wichtig, die Wissenschaftlichkeit am Institut zu unterstützen, denn zu der Zeit waren wir in vielen Bereichen ein Beratungsinstitut. Ich wollte aber gleichzeitig mit einem Bein in der Praxis bleiben und etwas politisch bewegen.“ Das ging auch international mit Partner*innen und Praxisakteuren aus verschiedenen EU-Ländern, mit denen in großen Verbundvorhaben neue Methoden zur Einbindung von Akteuren in Energieplanung und bei Verhaltensänderungen entwickelt wurden.

Flughafen Frankfurt: Die Menschen müssen über ihren Lebensraum mitbestimmen

Dr. Bettina Brohmann bei der Präsentation und Erläuterung der NORAH-Studie 2016 am Flughafen, Quelle: Öko-Institut Dr. Bettina Brohmann bei der Präsentation und Erläuterung der NORAH-Studie 2016 am Flughafen, Quelle: Öko-Institut

Ein weiteres Großprojekt führte sie an den Flughafen Frankfurt. Zunächst als Demonstrierende gegen den Bau der Startbahn 18 West Anfang der 1980er Jahre und als Begleiterin der  Freien Volksuniversität Startbahn West. „Das war ein Meilenstein. Denn die Politik hat die Startbahn gegen alle zivilgesellschaftlichen Widerstände damals einfach durchgesetzt. Wir vom Öko-Institut haben uns danach gefragt: Wie können die Rahmenbedingungen aussehen für einen regional verträglicheren Flughafen?“ Zeitgleich entschied das Land im Jahr 1999 einen Mediationsprozess zu initiieren: Das Öko-Institut übernahm die wissenschaftliche Begleitung – bis heute. „Wir haben viele Themen von Ökologie bis Gesundheit angestoßen in diesem Prozess des Ausbaus, der ja immer noch nicht abgeschlossen ist. Und wir haben einiges erreicht“.

Im Jahr 2010 startete und begleitete Bettina Brohmann eine der größten flughafenbezogenen Gesundheitsstudien europaweit: NORAH. Beteiligt waren mehrere Universitäten sowie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). An vier Flughäfen wurde untersucht, wie sich Fluglärm auf die Bevölkerung auswirkt. Die Studienergebnisse sind später auch in die EU-Gesetzgebung zum Thema Lärm und Gesundheit eingeflossen.

Die transdisziplinäre Forschung: Zivilgesellschaft und Wissenschaft entwickeln Forschungsfragen gemeinsam

Die Auswirkungen von und das Leben mit Technik führte Bettina zu einem ihrer großen Aufgabengebiete der letzten zehn Jahre. Ein Endlagerstandort für den hochradioaktiven Müll aus den deutschen Atomkraftwerken muss gefunden werden. Das deutsche Standortauswahlgesetz setzt stark auf die Einbeziehung der Bevölkerung und Transdisziplinarität wird zum Anspruch.

Moderatorin Dr. Bettina Brohmann bei der Schader-Stiftung in Darmstadt, Quelle: Schader-Stiftung Moderatorin Dr. Bettina Brohmann bei der Schader-Stiftung in Darmstadt, Quelle: Schader-Stiftung

Bettina prägte dabei den recht jungen Zweig der transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung am Öko-Institut als Forschungskoordinatorin. Was zum Untersuchungsgegenstand wird, muss Relevanz haben. „Die Wissenschaft darf nicht neben der Gesellschaft stehen, sondern muss mittendrin sein, um die wichtigsten Nachhaltigkeitsprobleme zu bearbeiten“, sagt sie. Anderenfalls bestehe die Gefahr, dass man sich im „Klein-Klein“ verliere und nicht die „Big Points“ untersuche. Dazu braucht es Vermittler*innen wie sie, die darauf achten, dass sich die verschiedenen Welten verstehen. Und auch Orte der Vermittlung, wie die neue tdAcademy.

Leben, Lernen, Kunst

Und was macht die umtriebige Forscherin im „Ruhestand“? Wieder mehr Reisen zu Freund*innen und Kolleg*innen, Kulturevents und Transformationsprojekten in Europa. „Und dann wird mich auch mein privates Lebensprojekt weiter fordern: Wir haben in Darmstadt ein genossenschaftliches Wohnprojekt mitinitiiert und aufgebaut“, erzählt sie. Es ist der erste große Wohnkomplex in Darmstadt im Passivhaus-Standard mit Car-, Food-, Energie-Sharing auf einer militärischen Konversionsfläche. Sie sammelt dort Erfahrungen bei interkulturellen Projekten, unterstützt die Roger Willemsen Stiftung sowie kunstbasierte Vorhaben, die sich mit Transformation beschäftigen. „Eigentlich müsste man auch die Neuentwicklung unseres Stadtteils mit transdisziplinärer Forschung begleiten“, sagt Bettina mit einem Augenzwinkern, „wir haben da schonmal etwas vorbereitet.” Eins ist klar: Ihr wird garantiert nicht langweilig.

Anette Nickels aus dem Referat Öffentlichkeit & Kommunikation hat mit Bettina Brohmann auf ihr Berufsleben zurückgeblickt - und nach vorne. Sie arbeitet im Büro Darmstadt.

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