Spenden

Eine Welt ohne Atomkraftwerke und Atomwaffen

Nie wieder Tschernobyl, nie wieder Fukushima: Unsere Vision von einer Energiewende ohne Atomkraft.

Anlässlich des 40. Jubiläums des Öko-Instituts im November 2017 haben wir zurückgeblickt und uns gefragt, was wir in den letzten vier Jahrzehnten erreicht haben. Wie haben sich Gesellschaft und Umwelt verändert? Und wie wir selbst?

Aber wir lenkten unseren Blick auch aufs Heute und die Zukunft: Wie sieht die Umweltbelastung aus, wo steht unsere Gesellschaft in Sachen Nachhaltigkeit? Was sind absehbare, möglicherweise nur noch schwer beeinflussbare Entwicklungen? Welche Visionen haben wir? Und welche Wege führen dahin?

In unserem Zukunftspapier „Heute. Morgen. Zukunft. Visionen und Wege für eine nachhaltige Gesellschaft“ haben wir versucht, diese Fragen zu beantworten. Für uns,  für die Gesellschaft und für eine Diskussion über eine nachhaltige Zukunft. In loser Folge präsentieren wir in diesem Blog einzelne Kapitel aus dem Zukunftspapier. In diesem Beitrag stellen wir unsere Vision zum Handlungsfeld Atomausstieg vor.

Die Kritik an der Risikotechnologie Atomkraft war die Keimzelle des Öko-Instituts – der Widerstand gegen das AKW Wyhl hat 1977 zur Gründung des Instituts geführt. Schon 1980 haben wir gezeigt, dass die Energiewende ohne Atomkraft funktionieren kann. Seit seiner Gründung analysiert und bewertet das Öko-Institut die mit der Atomkraftnutzung verbundenen Risiken. Wir haben uns auf den kontroversen Dialog mit Gegnern und Befürwortern eingelassen, entwickeln Konzepte und Lösungsvorschläge. In Studien und Forschungsvorhaben, als Gremienmitglieder sowie Beraterinnen und Berater von Politik und Gesellschaft beteiligen wir uns an der Entwicklung von Sicherheitsanforderungen für kerntechnische Anlagen ebenso wie am Neustart der Suche nach einem Endlagerstandort. Letztlich haben die Diskussionen in Deutschland zusammen mit der weltweiten Erfahrung, dass trotz aller Bekenntnisse zur Sicherheit katastrophale Unfälle tatsächlich passieren, im Jahr 2000 dazu geführt, dass die deutsche Politik und Gesellschaft den Atomausstieg vereinbart haben. Die Katastrophe von Fukushima hat gezeigt, dass diese Entscheidung richtig war – 2011 wurde sie endgültig bestätigt.

 

Eine Welt ohne Atomkraftwerke und Atomwaffen

Der Atomausstieg wird in unserer Vision zum weltweiten Erfolgsmodell. Die Energieerzeugung erfolgt in Zukunft ohne Atomkraftwerke, weil es keinen Grund mehr gibt, auf diese Risikotechnologie zu setzen: Die Menschen gehen sparsam mit Energie um und können ihren Bedarf vollständig durch erneuerbare Energien decken, die wirtschaftlich und bedarfsgerecht erzeugt werden.

Mit der Energiewende entfällt der Grund, die Betriebsdauer der alternden Kernreaktoren über ihre geplante Lebensdauer hinaus zu verlängern. Jüngere Kernkraftwerke werden wegen des erfolgreichen Ausbaus der erneuerbaren Energien vielfach noch vor Ende ihrer geplanten Betriebsdauer stillgelegt, da ihr Betrieb ohnehin nicht mehr wirtschaftlich ist.

Da Kernkraftwerke zur Energieerzeugung nicht mehr gebraucht werden, erlischt das Interesse von Staaten, die sich bisher aus energie- oder machtpolitischen Gründen für einen Einstieg in die Kernenergienutzung interessiert haben. Mit dem Schwinden der zivilen Nutzung wird auch der Zusammenhang zwischen ziviler und militärischer Nutzung der Kernspaltung aufgebrochen. Die Option, durch ein ziviles Atomprogramm einen (schnellen) Zugriff auf Atomwaffen zu haben, entfällt. Nuklearanlagen sind für eine rein militärische Nutzung gesellschaftlich nicht durchsetzbar. Weltweit sind alle Kernsprengköpfe abgerüstet, Anlagen, in denen neues Bombenmaterial erzeugt werden könnte, existieren nicht mehr. Die Welt hat endlich verstanden, dass wir ohne Atomwaffen sicherer sind.

Mit Stilllegung und Abbau aller Nuklearanlagen wurde auch das Risiko von Atomunfällen und verstrahlten Landstrichen beseitigt. Die kontaminierten Landschaften und havarierten Anlagen, die weltweit durch den Uranabbau, Unfälle in den Atomkraftwerken oder fahrlässigen Umgang mit den Abfällen entstanden waren, sind saniert und keine Gesundheitsgefahr mehr für die Bevölkerung.

Die radioaktiven Abfälle werden nicht verschwinden. Für sie wurden jedoch in transparenten und fairen Verfahren Lösungen zur Endlagerung gefunden, um sie bis in die ferne Zukunft von unserem Lebensraum fernzuhalten. Mit bestmöglicher Sicherheit für uns und unsere Nachfahren.

 

Atomenergie heute

Windscale, Harrisburg, Tschernobyl, Fukushima, um nur die bekanntesten zu nennen: Durch die Geschichte der Atomenergienutzung ziehen sich Rückschläge, schwere Unfälle und Katastrophen. Sie zeigen, dass wir die vermeintlich saubere Atomenergie mit dem Risiko erkaufen, dass ganze Landstriche für Jahrhunderte unbewohnbar werden. Dass radioaktive Substanzen weit in der Umwelt verteilt werden und wir ihnen letztlich ausgesetzt sind. Dies gilt auch für Umwelt- oder Gesundheitsschäden aus dem Umgang mit radioaktiven Abfällen und Atomruinen, aus dem Uranbergbau und aus der Wiederaufarbeitung.

Der Preis für Atomstrom ist viel höher als die Erlöse, die sich damit erzielen lassen. Denn die Risiken und ein wesentlicher Teil der Kosten – für Forschung und Entwicklung, staatlich garantierte Strompreise oder die Differenz zwischen Versicherungssummen und dem eigentlichen Schadenspotenzial – werden von Gesellschaft und Umwelt getragen.

Dass Atomkraftwerke beabsichtigt oder unbeabsichtigt in inner- oder zwischenstaatliche Konflikte verwickelt und dadurch in ihrer Sicherheit gefährdet werden können, wird kaum diskutiert. Dabei zeigen vergangene und aktuelle Krisen das Potenzial, schwere Unfälle in Atomkraftwerken auszulösen. Sie liegen auch in politisch instabilen und konfliktbehafteten Regionen. Selbst heute stabile Verhältnisse können zudem schnell verloren gehen, wie der Konflikt im Atomenergiestaat Ukraine zeigt. Vielleicht hatten wir bisher einfach nur Glück. Wir können nicht darauf vertrauen, dass das so bleibt.

Wirtschaftlich macht der Bau von Atomkraftwerken heute keinen Sinn mehr: Die Kosten des finnischen Vorzeigeprojekts für den Europäischen Druckwasserreaktor EPR in Olkiluoto haben sich mit über zehn Milliarden Euro mehr als verdreifacht. Das Projekt leidet unter Qualitätsmängeln und der Reaktor ist acht Jahre nach der für 2009 geplanten Fertigstellung immer noch nicht in Betrieb. Der EPR im französischen Flamanville hat ähnliche Probleme: Materialfehler beim Reaktordruckbehälter, die Kosten explodieren, der Zeitplan liegt um Jahre zurück. Ein Konkurs des französischen EPR-Herstellers Areva ließ sich jüngst nur durch massives staatliches Eingreifen verhindern. Ob die beiden in Großbritannien geplanten EPR-Neubauten überhaupt noch realisiert werden können, ist derzeit unklar. Im März 2017 meldete zudem der US-amerikanische Kernkraftwerkshersteller Westinghouse Konkurs an und brachte damit den japanischen Mutterkonzern Toshiba ins Trudeln. Die Ursachen auch hier: extreme Kostensteigerung und jahrelange Verzögerungen. Aktuell sind in den USA nur noch zwei Reaktoren in Bau – hier ebenfalls mit staatlichen Bürgschaften. Die anderen angekündigten Neubauvorhaben wurden aufgegeben, sie lassen sich schlicht nicht finanzieren. Selbst in Staaten mit einem politischen Bekenntnis zur Atomkraft kommt der Bau neuer Reaktoren also nicht voran. Die kerntechnische Industrie befindet sich in einer schweren Krise. Neubauten in größerem Umfang gibt es derzeit nur dort, wo der Staat sie auch finanziert: in Russland, China und Indien.

Die über sehr lange Zeit radioaktiven Hinterlassenschaften der Atomenergienutzung gefährden unsere Gesundheit und die unserer Nachkommen bis in die ferne Zukunft. Ihre Entsorgung ist eine Aufgabe, die zwar immer so sicher wie möglich erfolgen muss, aber nie völlig ohne Risiken für zukünftige Generationen gelingen kann. Die möglichst risikoarme Entsorgung der hochradioaktiven Abfälle wirft noch viele technische und gesellschaftliche Fragen auf. Darüber, was in diesem Zusammenhang als „sicher genug“ angesehen werden kann, gehen die Meinungen auseinander.

Schließlich ist die Atomenergienutzung untrennbar mit der Möglichkeit verbunden, die Technologien zur Herstellung von spaltbarem Material für Atomwaffen zu nutzen. Nicht jeder Staat mit einem zivilen Nuklearprogramm will eine Atombombe. Doch schon immer gab es Staaten, die ein ziviles Nuklearprogramm zur Unterstützung ihrer militärischen Interessen eingesetzt haben. Solange Staaten Atomkraft zur Energiegewinnung nutzen, wird eine atomwaffenfreie Welt viel schwieriger zu erreichen sein.

Deutschland hat sich also aus guten Gründen für den Atomausstieg entschieden. Er ist keine Verlegenheitslösung als Reaktion auf eine in die energiepolitische Irre geführte öffentliche Meinung, sondern ein Erfolgsmodell, das zeigt, dass eine hochtechnisierte Industrie- und Dienstleistungsnation ihren Strombedarf ohne die Risiken der Atomenergie decken kann. Zudem sind die Potenziale von erneuerbaren Energien und Energieeffizienz noch nicht ausgeschöpft. Sie können weiterentwickelt werden, um die Stromerzeugung aus fossilen Energieträgern zu überwinden.

 

Trends und Entwicklungen

In Deutschland wird spätestens zum Jahresende 2022 das letzte Atomkraftwerk den Betrieb einstellen, der Atomausstieg ist dann endlich geschafft. Die Unkenrufe von der Energielücke haben sich nicht bestätigt: Seit der Abschaltung von acht Reaktoren als Reaktion auf die Fukushima-Katastrophe haben die Kraftwerke hierzulande immer mehr Strom produziert als national verbraucht wurde. Atomenergie wird für die Energiewende hin zu einer klimaneutralen Stromerzeugung nicht gebraucht.

 

Atomausstieg in Europa?

Deutschland ist mit der Entscheidung zum Atomausstieg nicht alleine: Österreich hat die Atomenergienutzung schon 1978 verboten, Italien hat sich nach der Tschernobyl-Katastrophe gegen die Atomenergie entschieden. In der Schweiz, in Belgien und den Niederlanden werden keine neuen Reaktoren die alten ersetzen. Andererseits werden in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, in der Schweiz, in Frankreich, Belgien und den Niederlanden, besonders alte und riskante Atomkraftwerke betrieben, darunter die derzeit ältesten der Welt. Gerade die alternden Atomkraftwerke stellen zunehmend ein Risiko dar, besonders wenn die Betreiber ihre Betriebsdauer verlängern, statt sie am Ende ihrer geplanten Lebensdauer stillzulegen. In verschiedenen Kraftwerken in der Schweiz und in Belgien gibt es zudem Mängel im Stahl der Reaktordruckbehälter, also der zentralen Anlagenkomponente. Sie stellen die Sicherheit und damit den Weiterbetrieb in Frage.

 

Ein Endlagerstandort für Deutschland

Die Hinterlassenschaften des Atomzeitalters werden uns und die nachfolgenden Generationen noch lange beschäftigen: Stilllegung und Rückbau der Atomkraftwerke sind aufwändig und meist teurer als vorhergesehen. Und während sich Deutschland gerade neu auf den Weg macht, einen geeigneten Endlagerstandort für den hochradioaktiven Atommüll zu finden, lagert dieser in Zwischenlagern, die viel länger stehen bleiben müssen als von der Politik ursprünglich versprochen. Dabei ist die Endlagerung tief unter der Erde die Form der Entsorgung, die uns und unsere Nachfahren am besten vor den Gefahren des Atommülls schützen kann. Wirkliche Alternativen hierzu sind nicht in Sicht.

 

Neue Reaktoren und Konzepte

Bereits seit mehreren Jahrzehnten werden „neue Reaktorkonzepte“ erforscht, um die Anlagen hinsichtlich Sicherheit, Nachhaltigkeit, Ökonomie und nuklearer Nichtverbreitung zu verbessern. Ob es sich dabei um Schnelle Brüter, Hochtemperatur-Reaktoren, kleine, kombinierbare Reaktormodule oder andere Reaktorkonzepte handelt – keines konnte bisher erfolgreich demonstriert werden. Vielfach führen Weiterentwicklungen einer Eigenschaft wie der Sicherheit oder der Kernbrennstoffausnutzung zu Nachteilen bei anderen, so etwa der Ökonomie oder der Nichtverbreitung kernwaffenfähigen Urans oder Plutoniums. Ob diese Konzepte die Perspektive der Kernenergie in punkto Sicherheit, Wirtschaftlichkeit und gesellschaftliche Akzeptanz weltweit verbessern, ist zumindest fraglich. Für Deutschland spielen sie keine Rolle.

Ähnliches gilt für Verfahren, in denen langlebige Radionuklide wie Plutonium oder Americium, die aus abgebranntem Brennstoff abgetrennt wurden, in kürzerlebige Spaltprodukte umgewandelt werden sollen. Diese als Partitionierung und Transmutation bezeichnete Technologie wird von ihren Befürwortern als Beitrag zur Reduzierung der Anforderungen an die Endlagerung der hochradioaktiven Abfälle propagiert. Tatsächlich wäre der diesbezügliche Nutzen gering, während über Jahrzehnte Atomanlagen zur Aufarbeitung von bestrahltem Kernbrennstoff und Reaktoren zur Transmutation betrieben werden müssten, verbunden mit den bekannten und neuen Sicherheitsrisiken.

Für Kernfusionskraftwerke existieren bis heute nur konzeptionelle Entwürfe, allerdings wird intensiv an den technischen und sicherheitsbezogenen Grundlagen geforscht. Erklärtes Ziel ist es, die Kernfusion zu einer wirtschaftlich nutzbaren Energieform zu entwickeln. Damit verbunden ist das Versprechen einer unerschöpflichen Energiequelle bei deutlich geringerem radioaktivem Gefährdungspotenzial. Es ist jedoch nicht absehbar, ob oder wann die Kernfusionstechnik Anwendungsreife erreicht. Für die Energiewende wird sie jedenfalls zu spät kommen. Zudem darf diese Technologie nicht entwickelt werden, ohne die Bedingungen für ihre sichere Anwendung gleichermaßen intensiv zu erforschen.

 

Atomwaffen

Mehr als 130 Staaten haben 2017 bei den Vereinten Nationen einen Vertrag zum Verbot von Atomwaffen unterzeichnet. In diesen Staaten dürfen keine Atomwaffen mehr stationiert werden. Das zeigt das große Bedürfnis nach einer Welt ohne Atombomben. Die Verleihung des Friedensnobelpreises 2017 an die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) ist ein starkes Signal in die gleiche Richtung. Dass die Atommächte, inklusive der NATO, beim Atomwaffenverbot nicht mitmachen, verdeutlicht aber auch, wie wenig diese bereit sind, auf ihre atomare Bewaffnung zu verzichten. Deutschland ist dem Verbotsvertrag ebenfalls nicht beigetreten – eine mehr als bedauerliche Fehlentscheidung.

 

Maßnahmen für Deutschland

 

1. Sicherheit bis zum Schluss

Die verbliebenen kerntechnischen Anlagen müssen bis zum Schluss den höchsten Sicherheitsanforderungen genügen. Notwendige technisch-organisatorische Weiterentwicklungen dürfen nicht mit dem Verweis auf die nahende Stilllegung aufgeschoben werden. Im Gegenteil: Wo sich eine notwendige Anpassung wirtschaftlich nicht lohnt, muss das Kraftwerk eher früher stillgelegt werden, anstatt es mit Abstrichen an der Sicherheit bis zum Ende weiter zu betreiben.

 

 

2. An Rückbau und Endlagerung führt kein Weg vorbei

Die Hinterlassenschaften des Atomzeitalters müssen definitiv aufgeräumt werden: Die stillgelegten Kraftwerke müssen zeitnah zurückgebaut werden, um das noch vorhandene Know-how zu nutzen, zukünftigen Generationen keine unnötigen Lasten aufzubürden und die Standorte für eine andere Nutzung frei zu machen. Die abgebrannten Brenn-

elemente und die radioaktiven Abfälle müssen sicher untergebracht werden. Es müssen Orte gefunden werden, die nach sorgfältiger Prüfung und Auswahl für die Endlagerung am besten geeignet sind. Den Menschen, die diese Endlager in ihrem Umfeld akzeptieren sollen, muss überzeugend dargelegt werden können, warum gerade dieser Ort ausgewählt wurde. Sie verdienen unsere Wertschätzung und natürlich eine Kompensation dafür, dass wenige Orte die Lösung eines nationalen Problems übernehmen müssen.

 

3. Beteiligen ist mehr als informieren

Der Ausstieg aus der Atomenergie wird neue Betroffenheit erzeugen: Die Standortsuche für ein Endlager wird Menschen in den zu untersuchenden Regionen betreffen, die sich bisher vielleicht wenig für dieses Thema interessiert haben. Das Öko-Institut will sein fachliches und kommunikatives Know-how einsetzen, damit sie sich in den Prozess einbringen können. Ebenso wollen wir vermitteln, dass die Atomenergie nicht ohne einen Endlagerstandort überwunden werden kann, und dass dieser in einem fairen und transparenten Verfahren gefunden werden muss. Dazu braucht es eine Beteiligungskultur, die Betroffene befähigt, ihre Bedenken und Vorschläge zu formulieren. Die Abläufe müssen zeitlich und organisatorisch so gestaltet sein, dass sie Betroffene und Interessierte nicht nur als Einwender, sondern als Mitgestalter des Verfahrens einbeziehen.

Bei der Bürgerbeteiligung gibt es noch eine Menge zu lernen – es ist daher gut, dass das Standortauswahlverfahren ein lernendes und sich selbst hinterfragendes Verfahren sein soll.

Gleichzeitig machen die Menschen an den bisherigen Atomkraftwerksstandorten die Erfahrung, dass das Aus „ihres“ Kraftwerks einen tiefgreifenden Strukturwandel mit sich bringt. Schließlich haben die Atomkraftwerke maßgeblich zum Wohlstand ihrer Standortgemeinden beigetragen. Nach dem Rückbau bleiben aber nur noch die ungeliebten Abfälle in den Zwischenlagern, bis diese im Endlager ihren endgültigen Verbleib gefunden haben. Das berechtigte Interesse der Standortgemeinden, beim Atomausstieg nicht unter die Räder zu kommen und nicht auf den Abfällen sitzen zu bleiben, muss von der Gesellschaft und den politischen Entscheidungsträgern ernst genommen werden.

 

4. Der Atomausstieg braucht Nachwuchs

Das Aufräumen wird noch Jahrzehnte dauern. Viele betroffene Menschen – an den Atomkraftwerksstandorten ebenso wie in den Regionen des Standortauswahlverfahrens – sind heute in der Schule oder noch nicht geboren. Das gilt auch für die zukünftigen Entscheidungsträger*innen, Wissenschaftler*inne und Ingenieure*innen, die gebraucht werden, um den Prozess voranzubringen und hoffentlich innerhalb dieses Jahrhunderts abzuschließen. Es ist wichtig, das Interesse an der Thematik aufrechtzuerhalten, in der Gesellschaft und der Berufswelt. Neben Maßnahmen für den Know-how-Erhalt wirbt das Öko-Institut für eine breitere Wissensvermittlung zum Atomausstieg, zum Beispiel in Schulen und in der Erwachsenenbildung. Wir brauchen entsprechende Studien- und Ausbildungsgänge sowie attraktive und wertgeschätzte Berufsbilder, damit die Bewältigung der Hinterlassenschaften unseres Atomzeitalters nicht an einem Mangel an Nachwuchskräften scheitert.

 

Weltweite Maßnahmen

 

1. Einsatz für den Atomausstieg

Trotz der unbestreitbaren Risiken, der ungelösten Entsorgungsfragen und der wirtschaftlichen Absurdität gibt es nach wie vor Staaten, deren Regierungen über einen Einstieg in die Atomenergienutzung nachdenken. Doch warum sollte man sich von einer teuren, riskanten und mit generationenlangen Problemen behafteten Energieform abhängig machen? Warum die mit Betrieb und Stilllegung der Anlagen und der Entsorgung ihrer radioaktiven Abfälle verbundenen Risiken und Kosten eingehen? Warum sich bei der Kernbrennstoffversorgung oder -entsorgung von anderen Staaten, Kraftwerksherstellern oder Anlagenbetreibern abhängig machen? Der Einstieg in die Atomenergie lohnt sich nicht. Wind, Sonne, Wasser und Biomasse können alles bereitstellen, was man zur Stromerzeugung braucht. Anlagen für erneuerbare Energien sind im Vergleich zu Atomkraftwerken schnell verfügbar, einfach zu finanzieren, ohne großes Risiko zu betreiben und am Ende ihrer Lebensdauer ohne wesentliche Probleme zu recyceln oder zu entsorgen.

Viele der weltweit betriebenen Kernkraftwerke sind älter als 30 Jahre – zum Beispiel 81 von 99 Anlagen in den USA oder 42 von 58 KKW in Frankreich.

Staaten, in denen heute noch Atomkraftwerke betrieben oder gebaut werden, können wir zeigen, dass hochtechnisierte Gesellschaften auf Atomenergie verzichten können. Dass man ohne Qualitätseinbußen auf erneuerbare Energien umsteigen kann. Und dass man sich nicht von alternden Atomkraftwerken auf Kosten eines mit dem Alter steigenden Unfallrisikos abhängig machen muss, wenn man die Energiewende ernst nimmt.

Die deutsche Politik täte gut daran, das Erfolgsmodell ‚Atomausstieg‘ weltweit aktiv zu vertreten. Die Argumente, die uns zum Ausstieg bewogen haben, haben auch anderswo auf der Welt Gewicht. In den meisten Atomenergiestaaten ist die Nutzung dieser risikobehafteten Energieform durchaus umstritten. Auch hier gibt es kritische Stimmen, die sich für eine andere Energiepolitik und für einen Verzicht auf nukleare Risikotechnologie einsetzen. Wir stehen bereit, diese Stimmen mit unserem Fachwissen und unseren Argumenten zu unterstützen, damit wir einer Welt ohne Atomkraftwerke näher kommen.

Unser gebündeltes Wissen zur Kernenergie finden Sie  auf unserer Website.

 

2. Abrüstung von Atomwaffen

Die weltweite vollständige Abrüstung von Atomwaffen muss endlich umgesetzt werden. Vor fast 50 Jahren haben sich die Länder der Welt im Atomwaffensperrvertrag zur nuklearen Abrüstung verpflichtet. Obwohl mit Ausnahme von Pakistan, Indien und Nordkorea heute alle Staaten diesen Vertrag ratifiziert haben, sind wir von diesem Ziel noch sehr, sehr weit entfernt. Es wäre ein wichtiges Signal, wenn auch Deutschland den aktuellen Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnen und damit Atomwaffen aus der Bundesrepublik verbannen würde.

 Zur gesamten Jubiläumsschrift „Heute. Morgen. Zukunft. Visionen und Wege für eine nachhaltige Gesellschaft“ des Öko-Instituts 

 

Keine Kommentare

Neuer Kommentar

* Pflichtfelder