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“Es genügt nicht, einfach nur den Preis für Treibstoffe zu erhöhen“

Welche sozialen Folgen haben Instrumente für eine nachhaltigeren Verkehr? Und wie lassen sich diese auffangen? Über diese Fragen haben wir mit Dr. Ines Verspohl vom Sozialverband VdK Deutschland e.V. gesprochen.

Der Verkehrssektor ist eines der Sorgenkinder der Energiewende: Bislang leistet er keinen Beitrag zu den Klimazielen. Ein tiefgreifender Wandel mit vielfältigen Maßnahmen ist also dringend notwendig. Instrumente für die Verkehrswende wie ein CO2-Preis auf Kraftstoffe oder Fahrverbote für Dieselfahrzeuge haben aber nicht nur einen Einfluss auf die Umwelt, sondern auch auf viele Menschen. Etwa, weil sie keinen Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln haben oder sich eine teurere Mobilität schlicht nicht leisten können. Im Interview mit eco@work erklärt Dr. Ines Verspohl, Abteilungsleiterin Sozialpolitik beim Sozialverband VdK, wie eine nachhaltige Mobilität auch sozial gerecht gestaltet werden kann.

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Im Interview mit eco@work: Dr. Ines Verspohl, Abteilungsleiterin Sozialpolitik beim Sozialverband VdK Deutschland e.V.

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Frau Dr. Verspohl, wo stehen wir mit Blick auf eine nachhaltige und gleichzeitig sozial gerechte Mobilität?

Leider ganz am Anfang. Aber es hat eine spannende Debatte begonnen, weil klar geworden ist, dass hier etwas geschehen muss. Wir sehen, dass viele Menschen Angst haben – etwa davor, dass das Fahren mit ihrem alten Diesel so teuer wird, dass sie zum Beispiel nicht mehr zum Arzt kommen. Diese Menschen haben aber eben oft auch nicht das Geld, sich ein neues Auto zu kaufen. Es genügt daher nicht, einfach nur den Preis für Treibstoffe zu erhöhen. Wir brauchen echte Alternativen, damit die Menschen auf umweltfreundliche Fortbewegungsmittel umsteigen.

 

Wie müssen diese Alternativen aussehen?

Da muss man zwischen Stadt und Land unterscheiden. In der Stadt ist der öffentliche Verkehr, der ÖPNV, zum Teil ja schon sehr gut ausgebaut. Leider ist er aber häufig nicht barrierefrei, so dass Menschen im Rollstuhl oder mit einem Rollator ihn nicht nutzen können. Das betrifft keine kleine Gruppe, sondern Millionen von Menschen! Zur Barrierefreiheit gehören im Übrigen nicht nur Aufzüge und Rampen, sondern auch verständliche Sprachansagen für blinde Menschen, klare Leitsysteme für kognitiv eingeschränkte Menschen oder auch die Möglichkeit, ein Ticket zu kaufen, wenn man kein Smartphone besitzt. Gleichzeitig muss der ÖPNV natürlich auch für alle anderen attraktiver werden.

 

Und was braucht es auf dem Land?

Man wird in ländlichen Gebieten mit einem regulären ÖPNV nie eine passende und ausreichende Taktung schaffen können, daher braucht es dort On-Demand-Lösungen, also Beförderungsmöglichkeiten, die man aktiv anfragt. Diese sollten nicht mehr so stark an feste Haltestellen gebunden sein, denn auch diese sind für ältere oder eingeschränkte Menschen oft nicht erreichbar. Gleichzeitig braucht es hier auch Lösungen, damit die Menschen gar nicht mehr so weit fahren müssen – so etwa eine mobile medizinische Versorgung.

 

Wie kann hier ein Wandel erreicht werden?

Wir brauchen ein breiteres gesellschaftliches Bewusstsein für dieses Thema, aber natürlich auch gesetzliche Grundlagen. Ziel unserer Mobilität sollte nicht mehr der fließende Verkehr sein, sondern der bestmögliche Schutz der Schwächsten, also der Fußgänger. Auch die Mobilitätswirtschaft muss umdenken – etwa mit Blick auf Fahrzeuge, in denen auch E-Scooter mitgenommen werden können, verständliche Ticketsysteme und bezahlbare Preise. Gerade auf dem Land ist das Busfahren leider oft teurer als die Fahrt mit dem Auto oder sogar dem Taxi.

 

Wie bewerten Sie den CO2-Preis auf Treibstoffe?

Den sehen wir kritisch. Um beim Beispiel mit dem alten Diesel zu bleiben: Menschen, die hier keine Alternativen haben, müssen das Geld dann an anderer Stelle einsparen, denn sie müssen ja irgendwie zur Arbeit, zur Schule oder zum Arzt kommen. Im schlimmsten Fall sparen Sie das Geld beim Essen ein. Menschen, die sich echte Spritfresser leisten können, wird hingegen auch der CO2-Preis nicht groß stören.

 

Warum wird die soziale Seite einer nachhaltigen Mobilität bislang oft vernachlässigt?

Der Gedanke, Sozial- und Klimapolitik zu vernetzen, ist einfach noch relativ neu. Und leider wird Umweltpolitik oft von Menschen gemacht, die sich dieser Probleme nicht bewusst sind.

 

Was bräuchten Sie, um sich hier besser einzubringen?

Vor allem mehr Zeit. Wir sind ja mit vielen unterschiedlichen Themen konfrontiert – wir beschäftigen uns mit dem Gemeindefinanzierungs- und dem Personenbeförderungsgesetz ebenso wie mit dem CO2-Preis und der EEG-Umlage. Wenn neue Gesetzesvorlagen anstehen, bekommen wir aber meist nur zehn Tage, um eine Stellungnahme zu verfassen und damit vielleicht auch Gehör zu finden. Beim Personenbeförderungsgesetz ist uns das gelungen, hier haben wir auf Regelungslücken in punkto Barrierefreiheit hingewiesen.

 

Was ist für Sie der größte Mythos, wenn es um eine sozial gerechte Mobilität geht?

Dass arme Menschen die Verursacher von Schadstoffen sind, weil sie mit alten Autos durch die Gegend fahren. Arme Menschen haben aber meist gar kein Auto und wenn doch, fahren sie weniger und kürzere Strecken – und sie machen übrigens auch keine Fernreisen, was deutlich mehr Schadstoffe verursacht.

 

Was würden Sie mit Blick auf eine sozial gerechte Mobilität ändern, wenn Sie Bundeskanzlerin wären?

Zum einen wie schon genannt im Straßenverkehrsgesetz den Schutz der Schwächsten als oberstes Ziel ansetzen und nicht den flüssigen Verkehr. Und: On-Demand-Angebote deutlich voranbringen und sie flächendeckend ausbauen, aber so, dass sie ohne Smartphone nutzbar sind. Durch solche Angebote ist es möglich, attraktive Lösungen für alle jene zu schaffen, die sonst nicht mobil sein können.

 

Was können wir von der Covid-19-Pandemie für eine sozial gerechte Mobilität lernen?

Dass viel Veränderung möglich ist, wenn es darauf ankommt, auch in sehr kurzer Zeit. Diese Energie kann man nutzen. Nach Corona wird keiner mehr sagen: Das haben wir immer so gemacht.

Vielen Dank für das Gespräch. Das Interview führte Christiane Weihe.

Dr. Ines Verspohl hat einen Master of Arts in European Studies der Universität Maastricht, sie promovierte an der Universität Osnabrück in Politikwissenschaft zu europäischen Reformen des Gesundheitssystems. Nach ihrem Studium war sie zunächst als wissenschaftliche Referentin für den Sachverständigenrat Gesundheit tätig. Seit 2012 bringt sie ihre Expertise beim Sozialverband VdK ein, zunächst als Referentin Gesundheitspolitik, seit 2019 als Abteilungsleiterin Sozialpolitik.

Weitere Informationen

Themenseite “Bündnis Sozialverträgliche Mobilitätswende” des VdK

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