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#klimaretten: Verhalten oder Verhältnisse ändern?

Im Interview kommentiert Prof. Dr. Rainer Grießhammer, der lange Geschäftsführer des Öko-Instituts war, die Aussichten für den Klimaschutz und Fridays for Future und die ewig aktuelle Debatte: Verhalten oder Verhältnisse ändern?

Im Interview kommentiert Prof. Dr. Rainer Grießhammer, der lange Geschäftsführer des Öko-Instituts war, die Aussichten für den Klimaschutz und Fridays for Future und die ewig aktuelle Debatte: Verhalten oder Verhältnisse ändern?

[caption id="attachment_3138" align="alignleft" width="300"]Prof. Dr. Rainer Grieshammer vom Öko-Institut, Quelle: Privat Prof. Dr. Rainer Grieshammer, Quelle: Privat[/caption]

 

Im Vorwort Ihres neuen Buchs „#klimaretten“ schreiben Sie, dass Sie beim Lesen des Klimaschutzprogramms der Bundesregierung „körperliche Schmerzen“ empfunden hätten.

Ja. Das war eine ganz neue Erfahrung beim Lesen. Morgens war ich auf der großen Freiburger Demonstration von „Fridays for Future“ als einer von 30.000 Mitmarschierenden und war von der Breite der Bewegung, der Aufbruchsstimmung und den Diskussionen begeistert. Und mittags kamen dann die Nachrichten zu dem mutlosen Klimaschutzprogramm. Als Wissenschaftler erkennt man die große Diskrepanz noch schärfer: zwischen dem hohen Zeitdruck, den die Klimaerhitzung auslöst und den drohenden Kipppunkten und auf der anderen Seite den langwierigen Veränderungen in der Politik und beim Umbau der Infrastrukturen. Max Weber hatte einst gesagt, Politik sei das langsame Bohren von dicken Brettern. Aber dummerweise stehen wir schon auf sehr dünnen Brettern und die Bohrer sind sehr stumpf.

 

Sie kritisieren das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung im Detail, aber auch im Grundsatz. Warum?

Zuerst einmal ist das Reduktionsziel zu schwach. Wenn die Klimaerhitzung deutlich unter zwei Grad bleiben soll, dürfte Deutschland anteilig zu seiner Bevölkerungszahl ab 2020 nur noch rund 5.000 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen. Nach dem Klimaschutzprogramm wäre diese Maximal-Emission aber schon im Jahr 2026 erreicht. Ab dann dürfte gar nichts mehr emittiert werden.

Aber leider wird nicht einmal dieses schwache Reduktionsziel erreicht werden. Anders als prognostiziert, wird der Stromverbrauch bis 2030 wegen der Elektromobilität steigen. Dann müsste auch der Ausbau der Erneuerbaren Energien deutlich größer ausfallen als geplant. Aber gleichzeitig wird die Windenergie an Land von der Bundesregierung abgewürgt. Und selbst der viel beschworene Kohleausstieg ist nicht sicher: Der Kohlekompromiss wurde zwar vor einem Jahr ausgehandelt, aber es gibt dazu kein Gesetz und keine freiwillige Vereinbarung mit den Kraftwerksbetreibern. Das ist alles noch in weiter Ferne.

 

Reicht der Druck von Fridays for Future denn nicht aus?

Mit dem begeisternden Weckruf von „Fridays for Future“ hat tatsächlich ein neues Zeitalter begonnen. Die riesige und positive Resonanz darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Widerstand gegen Klimaschutzmaßnahmen nach wie vor groß ist: in Politik und Wirtschaft, aber potenziell auch bei den mehreren Dutzend Millionen Autofahrer*innen, Eigenheimbesitzer*innen und Mieter*innen – die allesamt auch Wähler*innen sind. Da braucht man eine klare Strategie, gute Argumente, politische Initiativen und einen langen Atem.

 

Nach Tschernobyl haben Sie als Geschäftsführer des Öko-Instituts zur Gründung von Energiewendekomitees aufgerufen. Tatsächlich haben sich mehr als 400 gegründet und waren lange in diesem Sinn aktiv. Ist das mit Fridays for Future vergleichbar?

Ja und nein. In beiden Fällen gab es eine Initialzündung durch einen äußeren Anlass – 1986 durch den Super-GAU in Tschernobyl und heute durch die größte anzunehmende Klimakatastrophe. In beiden Fällen gab und gibt es eine enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Umweltaktivisten. Die Energiewendekomitees haben dann mehr als 15 Jahre lang erfolgreich gearbeitet und gingen schlussendlich in Energieagenturen, Startups mit Erneuerbaren Energien und Klimabündnisse über. Ohne diese Bewegung gäbe es keine Energiewende, keine Erneuerbaren Energien und noch weniger Klimaschutz. Fridays for Future wird leider bald merken, dass außer Schulterklopfen wenig passiert und es mehr harte Diskussionen mit der Politik und den eigenen Eltern braucht. Und dass es mehr politische Initiativen, wie etwa die Volksbegehren zum Radverkehr, geben muss. Dafür sind heute Mobilisierung und Abstimmung via Internet viel leichter.

[caption id="attachment_3140" align="alignleft" width="214"]Cover des Buches !#klimaretten" von Rainer Grieshammer Cover des Buches !#klimaretten" von Rainer Grieshammer[/caption]

 

Aber mit Ihrem Buch haben Sie sich trotzdem für das alte Medium entschieden?

Strategien und Zusammenhänge kann man nicht in 280 Twitter-Zeichen aufzeigen. Das Buch ist allerdings ein Mischformat und orientiert sich an den Lesegewohnheiten der Jüngeren, unter anderem mit siebzig getrennt lesbaren #Kurztexten, die neugierig machen. Beim Weiterlesen kommen dann die Zusammenhänge. Die #Kurztexte werden in den Sozialen Medien auch einzeln verbreitet – ergänzt mit kurzen Youtube-Videos.

 

Zurück zum Inhalt. Sie fordern, dass man „Jetzt Politik und Leben ändern“ muss. Reicht die Politik nicht aus? Und schreckt das „Leben ändern“ nicht unnötig ab?

Man muss das Verhalten UND die Verhältnisse ändern. Das eine passiert nicht ohne das andere. Wer mit seinem SUV mit Tempo 50 km/h durch die Stadt brettert, wird nicht für Radverkehr und Tempo 30 eintreten oder dementsprechend wählen. Aber die Wechselwirkung ist noch enger. Denn als Bürger*in hat man mehrfache Rollen: Man ist Konsument*in, Arbeitnehmer*er, Wähler*in, Mieter*in oder Eigentümer*in, genervte*r Anwohner*in und Aktivist*in, ADAC- und BUND-Mitglied und Auto-Fahrer*in, der oder die sich zugleich um die eigenen  Rad fahrenden Kinder sorgt. Je mehr die Rollen auseinanderklaffen, umso schwieriger wird es.

Die Energiewende war aus Verbrauchersicht bisher wenig konfliktreich, denn der Strom kam ja weiterhin aus der Steckdose. Im Verkehr, bei Gebäude und bei der Ernährung geht es aber ans Eingemachte. Da braucht man attraktive Leitbilder, attraktive Alternativen, gute Vorbilder und gute Argumente, um eine andere Politik durchzusetzen. Viel höhere CO2-Preise müssen noch erstritten werden. Aber selbst höhere CO2-Preise allein werden für die Transformation nicht ausreichen – mittelständische Haushalte haben schon in den letzten zehn Jahren deutlich höhere Benzin und Heizölpreise ausgehalten. Nur war da der „anonyme“ Ölmarkt verantwortlich. Für den Klimaschutz braucht es höhere CO2-Preise UND Ordnungsrecht – wie etwa eine verpflichtende Gebäudesanierung und Tempolimits. Und Hausbesitzer*innen, Mieter*innen, Autofahrer*innen, die das auch wählen.

Prof. Dr. Rainer Grießhammer war langjähriger Geschäftsführer des Öko-Instituts. Er ist Vorstand der Stiftung Zukunftserbe, Honorarprofessor an der Universität Freiburg und Bestsellerautor. Sein neuestes Buch: # klimaretten – Jetzt Politik und Leben ändern. Lambertus-Verlag, Freiburg 2019.

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