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Marmelade kochen statt im Büro sitzen?

Dr. Corinna Fischer, Senior Researcherin am Öko-Institut, beschäftigt sich mit alternativen Konsumpraktiken, die das bisherige Gesellschaftsmodell vom „immer weiter, immer größer, immer mehr“ in Frage stellt. Sie diskutiert dies mit ihrem Co-Autor in einem Kapitel des neuerschienenen Buches „Tätigsein in der Postwachstumsgesellschaft“.

[caption id="attachment_2792" align="alignleft" width="277"]Dr. Corinna Fischer vom Öko-Institut. Quelle: Öko-Institut Dr. Corinna Fischer vom Öko-Institut. Quelle: Öko-Institut[/caption] Dr. Corinna Fischer, Senior Researcher am Öko-Institut, beschäftigt sich mit alternativen Konsumpraktiken, die das bisherige Gesellschaftsmodell vom „immer weiter, immer größer, immer mehr“ in Frage stellt. Sie diskutiert dies mit ihrem Co-Autor in einem Kapitel des neuerschienenen Buches „Tätigsein in der Postwachstumsgesellschaft“.

Erwerbsarbeit treibt derzeit das Wirtschaftswachstum an. Erwerbsarbeit ermöglicht Einkommen, Einkommen ermöglicht Konsum, Konsum hält die Wirtschaft in Schwung. Auf der anderen Seite wird argumentiert, dass Wachstum nötig ist, um Arbeitsplätze zu erhalten. Das alles verschlingt Ressourcen. Wie könnte Arbeit in einer Gesellschaft aussehen, die nicht mehr vom Wachstum abhängig ist? Müssen wir viel eher von „Tätigsein“ als von Arbeit sprechen? Werden wir weniger im Büro sitzen, hinter der Theke stehen oder an der Maschine werkeln und dafür mehr Marmelade einkochen, Kinder erziehen oder in der Freiwilligen Feuerwehr tätig sein? Wovon leben wir dann? Wie wird unsere Rente, unsere Gesundheitsversorgung finanziert, wenn nicht (nur) über Erwerbsarbeit?

Umweltschutz muss nicht teuer sein

Der Klimawandel ist auch eine soziale Frage. „Es existieren Konsumpraktiken, die weniger wachstumstreibend wirken und weniger Ressourcen verbrauchen als die üblichen, die zugleich soziale Teilhabe ermöglichen und eine Vielfalt des Tätigseins hervorbringen können. Wir bezeichnen sie als ‚alternative Konsumpraktiken‘“, schreiben Dr. Corinna Fischer und Immanuel Stieß (ISOE-Institut für sozial-ökologische Forschung) in ihrem Kapitel „Alternative Konsumformen: Soziale Teilhabe jenseits von Markt und Arbeit“. Soziale Teilhabe, das bedeutet: Mittun können, anerkannt sein, Kontakte und Netzwerke haben, eigene Ziele im Rahmen allgemein anerkannter Werte verfolgen können. Das funktioniert heute stark über Konsum und Arbeit: Man definiert sich über seinen Job, oder über die Güter, die man sich leisten kann. Arbeit und Konsum ermöglichen Kontakte, Austausch, Respekt. Gelingt das auch mit alternativen, weniger ressourcenintensiven Konsumformen? „Während das erweiterte Arbeitsverständnis sich zu Tätigsein in seinen vielen Formen ausweitet, weist das erweiterte Konsumverständnis über Marktgüter hinaus auf koproduzierte und gemeinschaftlich genutzte Leistungen und Güter“, schreiben Fischer und Stieß. Die These der Autor*innen: Teilhabe durch andere Arbeit und anderen Konsum ist möglich. Wer zum Beispiel gärtnert oder repariert, kann sich über seine Leistung freuen, Neues lernen, anderen Menschen begegnen und hat einen Ausgleich zum Alltag in der Firma.

Politische Rahmenbedingungen vonnöten

Aber nicht alles passt für jeden. Wenn Menschen heutzutage ihre Teilhabe mit Hilfe des dicken Autos, des Eigenheims oder des immer neuesten elektronischen Gadgets organisieren, und wenn sie einen entsprechenden Job anstreben, um sich das leisten zu können, dann wird es nicht reichen, ihnen Fahrräder, kleinere Wohnungen oder gebrauchte Geräte schmackhaft zu machen. [caption id="attachment_2793" align="alignright" width="266"]Buch: Tätig sein in der Postwachstumsgesellschaft. Quelle: Öko-Institut Buch: Tätig sein in der Postwachstumsgesellschaft. Quelle: Öko-Institut[/caption] Es muss sich auch die Vorstellung vom „Normalen“ ändern. Nur wenn, zum Beispiel, das Fahrrad Mainstream wird, wird sich der Autolose nicht mehr abgehängt fühlen. Und dafür muss die Politik Rahmenbedingungen setzen – nicht nur mit guten Worten, sondern auch mit ökonomischen Anreizen, Regulierung und Infrastruktur. Beispielsweise brauchen viele alternative Konsumpraktiken öffentlich zugängliche Infrastrukturen. Dies reicht von Bibliotheken und Mediatheken über Verkehrsinfrastrukturen bis zum Zugang zu Räumen und Flächen, in denen Selbstorganisation und Eigenproduktion stattfinden können. Weiterhin müssen Kompetenzen für alternative Konsumpraktiken entwickelt werden: Hier können das Bildungssystem, aber auch Multiplikatoren und soziale Medien eine wichtige Rolle spielen. Und schließlich unterstützen sozial flankierte ordnungsrechtliche und ökonomische Instrumente einer Suffizienzpolitik – etwa eine ökologische Umgestaltung des Steuersystems oder der Ausbau des Umweltverbundes auf Kosten des Platzes für den Individualverkehr ­­– einen Wandel hin zu alternativen Konsumformen. Sie erschweren nicht-nachhaltigen Konsum und sorgen damit dafür, dass nachhaltiger Konsum zur Normalität wird.

Das Buch

Mit diesen Fragen beschäftigt sich das von Irmi Seidl und Angelika Zahrnt herausgegebene Buch „Tätigsein in der Postwachstumsgesellschaft“ (Metropolis Verlag, 262 Seiten, 18 Euro). Die Autorinnen und Autoren beleuchten die Geschichte der Arbeit und die damit zusammenhängenden Werte. Sie fragen, wie Tätigsein in Handlungsfeldern wie Landwirtschaft, Digitalisierung oder Sorgearbeit aussehen könnte. Sie diskutieren, was verschiedene Akteure beitragen könnten und wie die Rahmenbedingungen etwa im Steuer- oder Sozialversicherungssystem gestaltet werden müssten.

Dr. Corinna Fischer

arbeitet seit 2010 als Senior Researcher im Bereich Produkte und Stoffströme am Öko-Institut, Standort Darmstadt. Sie leitet die Forschungsgruppe Nachhaltige Produkte und Konsum.

Weitere Informationen

Buchvorstellung am 28. Oktober 2019 in der Heinrich-Böll-Stiftung

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