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Regulatorische Experimente, ja bitte!

Die Nachhaltigkeitsforschung drängt auf „Reallaboren“ oder „Realexperimente“ für soziale Praktiken. Und in diesen Experimenten soll es auch die Möglichkeit geben, zukünftige staatliche Regulierung zu testen.

„Experimente, ja bitte!“ hatten wir uns zum 40-jährigen Jubiläum des Öko-Instituts gewünscht.

Konkret ging es dabei um das Experimentieren mit neuen Regeln. Nun soll es nicht beim Wünschen bleiben. Prof. Dr. Dierk Bauknecht berichtet von den Aktivitäten des Öko-Instituts dazu, darunter ein Forschungsprojekt, in dem ein Leitfaden entstanden ist, mit dem öffentliche Verwaltungen Hilfe beim Experimentieren mit Regulierung erhalten.

Was sind „regulatorische Experimente“?

Regulatorische Experimente können eine wichtige Rolle spielen für die Gestaltung von Nachhaltigkeitstransformationen. Sie ermöglichen es, zukünftige Regulierungsoptionen zu testen, bevor sie „ausgerollt“ werden. Währenddessen können sie weiterentwickelt werden, sodass sie Nachhaltigkeitstransformationen unterstützen.

Der Hintergrund ist die Idee, Pilotprojekte und Modellversuche nicht nur für technische Innovationen zu nutzen, sondern auch für neue Regulierungen. "Regulierung" und "Regulierungsexperimente" können das gesamte Spektrum der öffentlichen politischen Instrumente, Verfahren und Organisationsstrukturen umfassen. Der Staat bestimmt zum Beispiel Qualitätsnormen für Produkte und Leistungen, Verkehrsregeln oder ein mögliches Grundeinkommen.

Seit einigen Jahren und mit ersten Erfolgen drängt die Nachhaltigkeitsforschung darauf, auch den Nutzen von sozialen Innovationen sowie gerade das Zusammenspiel von Technik, Infrastrukturen und sozialen Praktiken zu testen – zeitlich und örtlich begrenzt sowie unter wissenschaftlicher Begleitung. Man spricht hier von „Reallaboren“ oder „Realexperimenten“. Und in diesen Experimenten sollte es auch die Möglichkeit geben, zukünftige Regulierung zu testen.

Nachdem wir das Konzept der „Regulatorischen Innovationszone“ entwickelt hatten, wollten wir besser verstehen, welche Erfahrungen es bereits gibt und wie regulatorische Experimente in Zukunft gestaltet werden sollten. Genau das war das Thema im Forschungsprojekt „REraGI – Regulatorische Experimentierräume für die reflexive und adaptive Governance von Innovationen“.

Regulatorische Experimente international

Regulatorischen Experimente werden in einer Reihe von Ländern und in verschiedenen Sektoren bereits genutzt und entwickelt, zum Beispiel im Energie- oder im Verkehrssektor, aber auch bei Instrumenten wie dem bedingungslosen Grundeinkommen.

Ein konkretes Beispiel in Deutschland für regulatorische Experimente ist die so genannte SINTEG-Verordnung. Diese sollte Projekten im Programm „SINTEG – Schaufenster intelligente Energie“ ermöglicht, technische und organisatorische Demonstrationen auch dann durchzuführen, wenn dies im aktuellen Regulierungsrahmen zu wirtschaftlichen Nachteilen führen würde. Die Verordnung wurde kaum genutzt, hat aber viele Diskussionen angestoßen, wie solche Experimente in Zukunft gestaltet werden sollten. Was im deutschen Stromsektor die SINTEG-Verordnung ist, sind zum Beispiel in Großbritannien die so genannten Regulatory Sandboxes.

Wir als Öko-Institut arbeiten daran mit, internationale Erfahrungen zusammenzutragen und daraus Best practice-Empfehlungen abzuleiten. Dabei geht es zum Beispiel darum, wie verschiedene Akteure in solche Experimente eingebunden werden und wie die Ergebnisse der Experimente breit genutzt werden können. Speziell für den Stromsektor hat das International Smart Grid Action Network (ISGAN) im Rahmen der IEA dazu einen internationalen Wissensaustausch organisiert, an dem das Öko-Institut mitgewirkt hat.

Praktische Umsetzung von regulatorischen Experimenten

Damit regulatorische Experimente in Zukunft in der Praxis öfter und effektiver genutzt werden, haben wir im Projekt REraGI einen Leitfaden für öffentliche Verwaltungen verfasst. Der Leitfaden wendet sich an alle, die solche Experimente entwickeln und umsetzen möchten. Er führt Schritt für Schritt durch den notwendigen Prozess und benennt die wichtigen Aspekte, die jeweils beachtet werden müssen. Auch um sicherzustellen, dass durch ein Experiment möglichst viel gelernt wird.

Unsere Arbeiten sind auch in Policy Messages eingeflossen, die im Rahmen des Clean Energy Ministerials (CEM) präsentiert wurden, das 2021 von Chile aus virtuell stattfand. Das CEM ist ein hochrangiges globales Forum zur Förderung von Politiken und Programmen, die erneuerbare Energietechnologien vorantreiben.

Regulatorische Experimente und Nachhaltigkeitstransformationen

Neben der praktischen Umsetzung regulatorischer Experimente interessiert uns auch, welche Rolle solche Experimente bei Nachhaltigkeitstransformationen spielen können. Deshalb haben wir das Instrument auch in die wissenschaftliche Diskussion zu Nachhaltigkeitstransformationen eingeordnet, in der Experimente eine immer größere Rolle spielen. Wir unterscheiden dabei zwei Typen von Experimenten: „Regulatory Sandboxes“ schaffen bewusst Ausnahmen in bestehender Regulierung, um technische, soziale oder organisationale Innovationen zu testen. „Regulatory Innovation Trials“ dienen dagegen dazu, neue Regulierungsoptionen in einem begrenzten Rahmen zu testen, bevor diese unter Umständen flächendeckend und permanent eingeführt werden.

Online-Seminar mit Dr. Dirk Bauknecht zum Thema regulatorische Experimente:

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Prof. Dr. Dierk Bauknecht ist Experte für Transformation im Stromsektor und Governance von Nachhaltigkeitstransformationen. Er arbeitet im Bereich „Energie & Klimaschutz“ am Standort Freiburg.

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