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Wasserstoff geopolitisch: Viele Staaten ins Boot holen

Wir reden über Wasserstoff? Dann geht es meist um Technik oder Nachhaltigkeitspotenziale. Eng mit dem Ausbau der Wasserstoffwirtschaft verbunden sind aber auch außen- und sicherheitspolitische Fragen. Dazu haben wir mit der Projektleiterin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, Dr. Kirsten Westphal, gesprochen.

Oftmals ist die „German Energiewende“ ein nationales Ereignis. Wir sprechen darüber, wo Windparks entstehen können. Welche Stromtrassen von Nord nach Süd geplant werden. Und wann die letzten deutschen Kohlekraftwerke vom Netz gehen. Die Frage, wie wir unsere zukünftige Energieversorgung gestalten, lässt sich jedoch nicht abgekoppelt betrachten. Deutschland ist in einen europäischen Energiemarkt eingebunden und arbeitet mit Blick auf seine Energieversorgung mit internationalen Partnerländern zusammen. Die Energiewende und der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft, lassen sich nicht ohne diese Länder denken, sagt Dr. Kirsten Westphal von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Sie müssen daher auch außen- und sicherheitspolitische Fragen berücksichtigen.

[caption id="attachment_4166" align="alignright" width="355"] Dr. Kirsten Westphal, Quelle: SWP[/caption]

 

Es beginnt in Europa

Aus europäischer Sicht ist es laut der Expertin für die Geopolitik der Energiewende extrem wichtig, gute Beziehungen zur Nachbarschaft zu halten. „Das bringt Kooperation und Stabilität und hilft dabei, unsere Normen und Standards auszuweiten – etwa mit Blick auf den Klimaschutz oder auch Arbeitsschutzregeln“, sagt sie, „dabei gilt es, Staaten im nördlichen Afrika ebenso miteinzubeziehen wie das östliche Mittelmeer oder die Ukraine. Hier hat das Projekt Hydrogen Europe aus meiner Sicht einen guten Anfang gemacht.“ Diese Initiative plant, bis 2030 insgesamt 40 Gigawatt Elektrolyseur-Kapazität in der EU aufzubauen und noch einmal 40 Gigawatt in angrenzenden Ländern, insbesondere in Nordafrika und der Ukraine. Elektrolyseure können Strom in Wasserstoff umwandeln.

Für Dr. Kirsten Westphal ist Hydrogen Europe ein guter Anfang – und der konkrete Beginn, den sie für so wichtig hält: „Natürlich braucht man auch eine große Vision, aber manchmal schauen wir zu sehr auf das Ende, grünen Wasserstoff möglichst aus Europa. Man muss jetzt schnell auch konkrete Projekte umsetzen, Leuchtturmprojekte aufbauen und in kleinen Schritten schauen, was funktioniert und was nicht. Um das anzuschieben, braucht es auch erst mal blauen und türkisen Wasserstoff. Begleitend müssen natürlich auch die regulatorischen Rahmenbedingungen aufgesetzt und verfeinert werden.“

 

Partnerschaften für klimaneutralen Wasserstoff außerhalb der EU

Grüner Wasserstoff, der mit Hilfe von erneuerbaren Energien erzeugt wird, kann voraussichtlich in Deutschland und Europa nicht in ausreichender Menge hergestellt werden. Daher werden Wasserstoffpartnerschaften mit solchen Ländern angestrebt, die deutlich höhere Kapazitäten für erneuerbare Energien haben als die Bundesrepublik. Eine Strategie, die viel Vorbereitung und Umsicht braucht. „Man sollte sich sehr genau die Bedingungen vor Ort ansehen und die Länder dort abholen, wo sie stehen“, sagt Dr. Kirsten Westphal, „das bezieht sich auf ihren Energiebedarf und ihre Pläne für die eigene Energieversorgung, existierende Infrastruktur und auch auf andere Bereiche, die damit zusammenhängen.“

So sei zum Beispiel Algerien ein Schlüsselland in Nordafrika. „Ein Land, das enorm abhängig von seinen Öl- und Gasexporten ist und gleichzeitig in einer instabilen Region liegt. Eine Destabilisierung Algeriens – die durchaus möglich ist – wäre auch für Europa eine große Herausforderung“, sagt die Wissenschaftlerin, „daher sollte Algerien im Blick behalten und unterstützt werden.“

 

Russland

Ein besonderes Augenmerk sollte aus ihrer Sicht auch auf Russland liegen. „Zum einen ist das Land schon heute der größte Energielieferant der EU“, erklärt Dr. Kirsten Westphal, „es hat aber auch ein enormes Potenzial für den Ausbau der erneuerbaren Energien.“ Die Beziehungen zwischen Europa und Russland seien sehr belastet und es brauche einen starken politischen Willen, hier Partnerschaften aufzubauen. Doch es sei nicht klug, Russland auf dem Weg zu einer emissionsfreien Energiewirtschaft nicht zu integrieren. „Es gibt hier auch viele interessante Entwicklungen sowie Akteurinnen und Akteure, die das Potenzial erkannt haben – so etwa Oligarchen, die auf erneuerbare Energien setzen und im hohen Norden Windparks aufbauen.“

 

Petrostaaten nicht abschreiben

Die Expertin der Stiftung Wissenschaft & Politik rät, die Petrostaaten nicht abzuschreiben. Als Petrostaaten werden Nationen bezeichnet, deren Wirtschaft stark von der Förderung und dem Export von Erdöl oder Erdgas abhängig sind. „Auch, wenn unser Energiesystem in Zukunft auf erneuerbaren Energien und nicht auf Öl und Gas basieren soll, sind Länder wie Saudi-Arabien oder Russland wichtige Akteure“, sagt sie, „sie verfügen – wie überhaupt die Öl- und Gasindustrie - über Know-how im Umfang mit Gasen und dem Aufbau von Infrastrukturen, Wertschöpfungsketten und Modulen, das wir aus mehreren Gründen nutzen sollten. Potentielle Verlierer sollten auch in der neuen Welt Chance bekommen, damit sie die Transformation nicht torpedieren.“ Darüber hinaus ist es aus ihrer Sicht wichtig, öl- und gasproduzierende Länder nicht zu destabilisieren und sie im Klimaabkommen zu halten.

 

China und USA

Für einen funktionierenden internationalen Wasserstoffmarkt müsse man auch China und die USA einbeziehen. „Sie sind zentral, wenn es darum geht, gemeinsame Normen zu definieren und einen globalen Rahmen zu schaffen“, sagt Dr. Kirsten Westphal. Keine leichte Aufgabe vor dem Hintergrund der starken geoökonomischen Rivalität der beiden Staaten und sich abzeichnender Konkurrenz um Technologieführerschaft.

Im Mittelpunkt der Arbeit von Dr. Kirsten Westphal stehen außen- und sicherheitspolitische Fragen, die mit der Energiewende verknüpft sind. Die Wissenschaftlerin leitet bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) das Projekt „Geopolitik der Energiewende“. Vor ihrer Tätigkeit für die Stiftung Wissenschaft und Politik, die sie 2008 begann, war Dr. Kirsten Westphal unter anderem als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Internationale Entwicklung und Umweltpolitik der Justus-Liebig-Universität Gießen sowie als Mitarbeiterin der PreussenElektra AG tätig.

 

Weitere Informationen

Website der Stiftung Wissenschaft und Politik

Publikation „Die Nationale Wasserstoffstrategie“ auf der Website des Bundeswirtschaftsministeriums

Website der Initiative „Hydrogen Europe“

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