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CO2-Bepreisung – jenseits der Konsens stiftenden Leerformel

Die Debatte um CO2-Bepreisung erlebt eine Renaissance. Dr. Felix Chr. Matthes über ein neues-altes Instrument der Energiepolitik.

Die CO2-Bepreisung ist in aller Munde. Aber ist der Ansatz derzeit mehr als eine „konsens-stiftende Leerformel“? Felix Matthes, Forschungskoordinator Energie- und Klimapolitik des Öko-Instituts, sortiert in seinem Standpunkt die Debatte und arbeitet fünf zentrale Themen heraus, über die Verständigung erzielt werden müsste. Dabei analysiert er auch die Schwachpunkte verschiedener Ansätze, zum Beispiel die Komplexität der Ausweitung des Emissionshandels auf den Verkehrssektor. [caption id="attachment_1872" align="alignleft" width="281"] Dr. Felix Chr. Matthes Quelle: Öko-Institut[/caption] Die Debatte um eine CO2-Bepreisung erlebt eine Renaissance. Und es ist höchste Zeit dafür. Denn die Energiewende kommt in eine neue Phase. Eine Phase, in der die niedrig hängenden Früchte der Emissionsminderung zunehmend abgeerntet sind, die Koordination vielfältiger dezentraler Aktivitäten eine neue Komplexität erreicht und eine langfristigere Ausrichtung von Investitions-, Infrastruktur- und Innovationsvorhaben unabdingbar wird. In der ersten Phase der Energiewende hätte die CO2-Bepreisung eine größere Rolle spielen können, aber auch ohne sie sind keine größeren Fehlentwicklungen entstanden. Das ändert sich nun. Ohne Koordination auf Basis von CO2-Preissignalen und ohne eine klare Perspektive für robuste CO2-Preisniveaus in einem dynamischen, aber eben auch volatilen Energiemarktumfeld wird die Energiewende vor massiven Barrieren stehen. Herausfordernd sind bei näherer Betrachtung jedoch die Unübersichtlichkeit, die manchmal große Widersprüchlichkeit sowie die teilweise große Realitätsferne vieler Vorschläge zu den anstehenden Reformmaßnahmen im Bereich CO2-Bepreisung. Wenn es schnellstmöglich zur Umsetzung kommen soll, bedarf es einer offenen und robusten Verständigung über insgesamt fünf Themen. Der erste Punkt betrifft die Frage, welche Anreizwirkungen von der CO2-Bepreisung ausgehen sollen. Hier ist zu beachten, dass unter anderem über die Energiesteuern bereits ein vergleichsweise breites, jedoch durch bizarre Verzerrungen gekennzeichnetes System der indirekten CO2-Besteuerung existiert. Werden die Energie- in CO2-Steuersätze umgerechnet, so ergibt sich für leichtes Heizöl eine indirekter CO2-Steuersatz von 23 Euro je Tonne CO2, für Erdgas von 30 Euro und für Kohle von 3,50 Euro. Ein einfacher CO2-Aufschlag ist weder sinnvoll noch effizient Bei Motorkraftstoffen liegen die Niveaus weitaus höher, sind aber auch die Unterschiede größer. Benzin wird mit knapp 290, Diesel mit 180 und Erdgas mit gut 75 Euro pro Tonne CO2 beaufschlagt. Selbst wenn berücksichtigt wird, dass über die Kraftstoffsteuern auch Beiträge zur Finanzierung der Straßeninfrastrukturen erbracht werden, verbleiben für Benzin implizite CO2-Steuern im deutlich dreistelligen Bereich sowie für Diesel- und Erdgas-Kraftstoffe um etwa 100 beziehungsweise über 200 Euro niedrigere Werte. Strom wird zunächst über das Emissionshandelssystem der Europäischen Union bepreist. Die Kosten für CO2-Zertifikate schwankten hier im Verlauf der letzten 15 Jahre im Bereich von 3 bis über 30 Euro und liegen derzeit bei etwas über 20 Euro pro Tonne CO2. Hinzu kommen die Stromsteuer, je nach Perspektive als CO2-Bepreisung von 20 bis 40 Euro pro Tonne CO2 interpretierbar, und diverse Umlagen zur Energiewende-Finanzierung, bei denen man trefflich darüber streiten kann, in welcher Höhe sie als indirekte CO2-Preise angesetzt werden können. Insgesamt kann man für Strom so eine CO2-Bepreisung von etwa 90 Euro pro Tonne CO2 unterstellen. Mit Blick auf diese große Vielfalt leuchtet unmittelbar ein, dass ein einfacher CO2-Aufschlag auf das bestehende Energiesteuer- und Umlagensystem weder sinnvoll noch in irgendeiner Weise effizient sein kann. Nur wenn auch die bestehenden Verzerrungen zumindest innerhalb der unterschiedlichen Einsatzbereiche (Wärme, Verkehr) abgebaut werden, macht der Versuch einer stringenten CO2-Besteuerung aus der Anreizperspektive wirklich Sinn. Die Sektoren nach und nach zu erschließen ist keine Option Die zweite wichtige Verständigungsfrage adressiert die Einheitlichkeit des CO2-Preises. Aus der Perspektive vieler Lehrbücher und der statischen Effizienz wäre ein einheitlicher CO2-Preis angeraten. Aber kann dieses Konzept auch in der Praxis tragen? Im Stromsektor können mit CO2-Preisen von 50 Euro pro Tonne gravierende Emissionsminderungen bewirkt werden, im Gebäudesektor könnten erst um mindestens 50 Prozent höhere CO2-Preise deutliche Unterschiede machen. Im Verkehrssektor entspricht ein CO2-Preis von zehn Euro allerdings nur einer Erhöhung der Kraftstoffpreise um 2,5 Cent pro Liter, es werden sich signifikante Emissionsminderungseffekte also eher im deutlich dreistelligen Bereich der CO2-Bepreisung einstellen. Würde für die anstehenden Emissionsminderungen beliebig viel Zeit zur Verfügung stehen, könnte man sich langsam von den eher preiswerten Emissionsminderungen (vor allem im Stromsektor) langsam in die Bereiche vorarbeiten, die erst über sehr hohe CO2-Preise erschlossen werden können (vor allem im Verkehrssektor). Wenn aber die vollständige Dekarbonisierung der Energie- und Verkehrssysteme innerhalb von drei Dekaden ansteht und der Weg dahin durch lange Sanierungszyklen, erheblichen Zeitvorlauf für die Anpassung von Infrastrukturen und den Hochlauf von innovativen Technologien geprägt ist, bildet eine sequenzielle Erschließung von Emissionsminderungsoptionen durch einheitliche CO2-Preise letztlich keine wirklich belastbare Option. Die dritte Schlüsselfrage ergibt sich mit Blick auf den Bezugsraum eines neuen Anlaufes für die CO2-Bepreisung. Sollen primär nationale Lösungen zum Tragen kommen, sind EU-weite Ansätze Erfolg versprechend, sollen sie nur im Rahmen der G20 oder gar nur global oder eher in Koalitionen von willigen Einzelstaaten verfolgt werden? Auch wenn es inzwischen in vielen Staaten dieser Erde interessante Ansätze zur CO2-Bepreisung gibt, die Lücken, die Vielfalt und die Unterschiede sind so groß, dass es in den überschaubaren Zeiträumen nicht zu umfassenden Vereinheitlichungen auf globaler oder G20-Ebene kommen kann. Abfederung der Belastung über eine pauschale Lösung Wer eine stringente CO2-Bepreisung nur hier akzeptiert, schließt sie für sehr lange Zeiträume faktisch aus. Selbst EU-weite Ansätze sind in näherer Zukunft nur in Teilen praktisch und politisch vorstellbar. Bleiben deswegen nationale Alleingänge bei der CO2-Bepreisung die einzige Alternative? Für den eng mit den Nachbarstaaten verflochtenen Stromsektor ist ein rein nationales Agieren nicht sinnvoll, gleiches gilt bei höheren CO2-Preisniveaus für den Verkehrsbereich. Allein für den Wärmesektor sind rein nationale Ansätze mit ambitionierten CO2-Preisen wirklich vorstellbar. Vor allem ein koordiniertes Vorgehen in einer Koalition der innovationswilligen EU-(Nachbar-)Staaten markiert einen robusten Weg nach vorn, entsprechende Angebote von zum Beispiel Frankreich und den Niederlanden liegen seit längerem auf dem Tisch. Viel diskutiert ist derzeit die vierte konzeptionelle Grundsatzfrage der Rückverteilung des Aufkommens aus der CO2-Bepreisung. Konjunktur haben derzeit Vorschläge zur Rückverteilung pro Kopf der Bevölkerung. Gleichzeitig werden aber in der konkreten Umsetzung sehr schnell die Rufe nach speziellen Kompensationen für Industrie- und Gewerbe, von sozialen Härten, aber auch nach der Finanzierung von Innovationsprojekten laut werden. Die Lehren aus der lehrbuchseitig mustergültigen Öko-Steuerreform zur Jahrtausendwende machen deutlich, dass die Theorie hier wenig weiterhilft und sehr pragmatische und vor allem akzeptanzorientierte Lösungen gefragt sind. Und deshalb vielleicht ganz pragmatisch: ein Viertel des zusätzlichen Aufkommens zum Ausgleich sozialer Härten, ein Viertel zur Kompensation der Wirtschaft, ein Viertel für die Innovationsfinanzierung sowie ein Viertel zur Erhöhung des Kindergelds. Eine Einigung auf klare Leitplanken und pragmatische Lösungen ist hier besonders dringend. Von einiger Komplexität und durch vielfältigen Verbindungen zu den bereits genannten vier Themen geprägt ist schließlich die fünfte Schlüsselfrage: Sollte man nicht das bestehende Emissionshandelssystem auf die bisher nicht erfassten Sektoren ausweiten? In der Theorie ist dieser Ansatz vielfach beschrieben, praktisch allerdings nur in Kalifornien wirklich umgesetzt. Das kalifornische Beispiel zeigt jedoch auch, dass die Einbeziehung des Verkehrs- und Wärmesektors in ein solches System zusätzliche Maßnahmen wie Standards oder Förderprogramme keineswegs überflüssig macht, sondern allenfalls als Sicherheitsnetz dienen kann – was angesichts der oben genannten Hebelwirkungen diverser CO2-Preisniveaus auch nicht weiter verwunderlich ist. Die Ausweitung des Emissionshandels im Binnenmarkt der EU ist jedoch auch technisch anspruchsvoll. Kleinanlagen und Fahrzeuge können nicht wie bisher direkt in den Emissionshandel einbezogen werden („downstream“). Hier muss bei der Produktion beziehungsweise beim Import („upstream“) oder aus Praktikabilitätsgründen bei den so genannten Steuerlagern, bei den Gasnetzbetreibern oder den Kohlehändlern („midstream“) angesetzt werden, die Kosten für CO2-Zertifikate würden von dort auf die Brennstoffkosten umgelegt. Der Abgleich, welches Unternehmen in welchem Umfang downstream, upstream und/oder midstream vom Emissionshandelssystem erfasst wäre, führt zu erheblichem Regelungsaufwand. Darüber hinaus entstehen auch neue Verteilungsfragen: Eine heute dem Emissionshandel unterliegende Industrieanlage erhält in erheblichem Umfang kostenlose CO2-Zertifikate, über Upstream- oder Midstream-Ansätze einbezogene kleinere Industrieunternehmen kämen nicht in den Genuss solcher Kompensationsmaßnahmen. Auch hier wären wohl gesonderte Regelungen zu schaffen. Besteuerung ist wahrscheinlich sinnvoller als Ausweitung des Emissionshandels Die Ausweitung des Emissionshandels ist so prinzipiell möglich, aber regelungsseitig in jedem Fall sehr komplex und auch jenseits einer EU-weiten Umsetzung nur schwer vorstellbar. Schließlich ist sie auch nur dann sinnvoll, wenn man sich mit Blick auf die Wirkungsmächtigkeit verschiedener CO2-Preisniveaus in den unterschiedlichen Sektoren sehr klar darauf verständigt, dass eine Ausweitung des Emissionshandels stets durch eine Reihe weiterer Instrumente ergänzt werden muss, wenn es um robuste und auch aus der Sicht dynamischer Kosteneffizienz sinnvolle Emissionsminderungspfade geht. Und schließlich wäre eine stärkere Konvergenz der sehr unterschiedlichen Energiesteuersätze in der EU eine zentrale Voraussetzung für konsistente Anreizwirkungen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es daher sinnvoller sein, sehr klar auf eine Reform des Energiesteuersystems setzen; mit dem Ziel einer Abschaffung der Stromsteuer sowie konsistenter, jedoch unterschiedlicher CO2-Preise zwischen den Anwendungsbereichen Verkehr und Wärme, einer Nutzung der eingespielten Regelungsstrukturen für Industrieunternehmen und Härtefälle sowie in engem Kontakt mit zumindest einigen Nachbarstaaten. Wir werden eine stringentere CO2-Bepreisung ohne jeden Zweifel als ein deutlich verstärktes Element eines zukunftsgerichteten Mixes der Energie- und Klimapolitik brauchen. Gleichzeitig drängt aber auch die Zeit. Eine offene und robuste Verständigung über die zentralen Leitplanken entlang der fünf genannten Themenkomplexe muss dringend angegangen werden. Damit CO2-Bepreisung nicht nur eine konsensstiftende Leerformel bleibt. Der Artikel ist zuerst am 8. April 2019 im Newsletter „Tagesspiegel BACKGROUND Energie & Klima“erschienen.

Dr. Felix Chr. Matthes

ist Forschungskoordinator für Energie- und Klimapolitik am Öko-Institut. Er entwickelt Dekarbonisierungsstrategien für Deutschland und Europa, analysiert und bewertet Instrumente für die Energie- und Klimapolitik. Zuletzt war er Mitglied der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ („Kohlekommission“) der Bundesregierung.

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