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Die Verkehrswende fängt an der Haustür an

Wie Wohnungsunternehmen ihren Mietern bereits zu Hause Alternativen zum PKW anbieten können und welche Beispiel-Quartiere dies schon umsetzen, beschreibt Dr. Manuela Schönau in ihrem Blogbeitrag.

Vergünstigte ÖPNV-Tickets, Car-Sharing und ein gutes Mobilitätsmanagement – nachhaltige Mobilität hat viele Facetten. Wohnungsunternehmen spielen dabei eine neue Rolle. Sie können ihren Mietern bereits zu Hause Alternativen zum PKW anbieten. Mehr als 80 Prozent aller Wege in Deutschland starten und enden vor der eigenen Haustür. Täglich entscheiden sich dort Millionen Menschen, wie sie mobil unterwegs sein wollen. Der Zugang zu umweltfreundlichen Verkehrsmitteln am Wohnort ist deshalb ein zentraler Ansatz, um die Luftbelastung in den Städten und die Klimaschäden durch den Verkehr zu verringern. Alternativen zum eigenen Auto müssen her. Ruhte bislang der Blick vornehmlich auf Kommunen und Verkehrsgesellschaften, stehen nun gänzlich andere Akteure im Fokus: Wohnungsunternehmen. Sie sind die idealen Schnittstellen und können ihren Mietern bereits ab der Haustür passende Mobilitätsoptionen anbieten.

Mietertickets und Sharing-Angebote

 [caption id="attachment_1361" align="alignright" width="517"]Quelle: Stadtplanungsamt Darmstadt, 2018 Logo "lincolnmobil"[/caption] So können Kooperationen mit Mobilitätsanbietern sowie flexible Fahrrad- oder Car-Sharing-Angebote vor Ort helfen, private Pkws überflüssig zu machen. Ein angenehmer Nebeneffekt: Die Anzahl der Autos im Wohnquartier kann reduziert werden und ehemals grau-betonierte Parkplätzen weichen grünen Aufenthaltsorten. Weiteres Beispiel: Spezielle Mietertickets können den Öffentlichen Nahverkehr für alle Mieter attraktiver machen. Bei diesen ÖPNV-Tickets tritt das Wohnungsunternehmen als Vermittler auf und erwirbt die Fahrscheine mit einem Großkundenrabatt von der Verkehrsgesellschaft. Den kann es als vergünstigte Tickets an seine Mieter weitergeben. 

Vorbildquartiere: Plattenbau und US-Siedlung

Zugegeben, Planung und Umsetzung der vielfältigen Mobilitätsangebote können langwierig und komplex sein. Zudem müssen Wohnungsunternehmen und auch Wohninitiativen selbst aktiv werden. Zur Hand geht ihnen dabei das Gemeinschaftsprojekt „Wohnen leitet Mobilität“ vom Deutschen Mieterbund, Verkehrsclub Deutschland (VCD) und Öko-Institut. Es erforscht, wie eine nachhaltige Mobilität im Wohnquartier gelingen kann. Dass dies möglich ist und durch Wohnungsunternehmen bereits erfolgreich umgesetzt wird, zeigen deutschlandweit verschiedene Best-Practice-Quartiere, wie etwa in Potsdam und Darmstadt. Aus ihren Erfahrungen werden zentrale Handlungsempfehlungen für die Immobilienwirtschaft entwickelt und veröffentlicht, um zukünftig – so das Ziel – geeignete Mobilitätsmaßnahmen auch anderswo leichter umsetzen zu können. [caption id="attachment_1359" align="alignleft" width="469"]Foto: Ulf Böttcher, 2012 Potsdam: Gartenstadt Drewitz vor der Umgestaltung[/caption] Die Herausforderung: Jede Stadt, jeder Stadtteil, ja sogar jede Mieterschaft eines Wohnquartiers ist anders. Die Unterschiede zwischen den Vorbildquartieren „Gartenstadt Drewitz“ in Potsdam und der „Lincoln-Siedlung“ in Darmstadt könnten auf den ersten Blick größer nicht sein. Dennoch – oder gerade deswegen – wurden sie ausgewählt, um die Treiber wie auch die Hemmnisse bei der Entwicklung nachhaltiger Mobilitätskonzepte zu verstehen.

Sozialverträgliches Konzept

[caption id="attachment_1360" align="alignright" width="485"]Foto: Adam Sevens, 2018 Potsdam: Gartenstadt Drewitz nach der Umgestaltung[/caption] Rund 5600 Bewohner leben in der Gartenstadt Drewitz bei Potsdam. Der überwiegende Teil davon sind Erwachsene. Die Zahl der Kinder ist stark rückläufig, während der Anteil an Rentnern angestiegen ist. Ein wesentlicher Grundgedanke hinter dem Konzept der ehemaligen Plattenbausiedlung war von Beginn an die sozialverträgliche Quartiersgestaltung. Weniger Pkw-Stellflächen, dafür mehr Grünflächen und Begegnungsorte lautet das Motto. Durch den städtebaulichen Masterplan entstand auf der ehemals mehrspurigen Konrad-Wolf-Allee ein neuer Stadtteil-Park als zentrales Element. Daneben verringern Tempo 30-Zonen den Durchgangsverkehr und beruhigen insgesamt den Verkehrsfluss. Zuletzt wurde im Bereich der Verkehrs- und Stadtplanung auch eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung eingeführt. Der gesamte Stadtteil wurde mit abgesenkten Bordsteinen ausgestattet und ist somit barrierefrei. Weitere Anreize für ein nachhaltige Mobilität: Neben einer dichten Straßenbahntaktung mit problemloser Anbindung an das Stadtzentrum, erhalten alle Mieter einer Ein- oder Zwei-Zimmer-Wohnung der städtischen Wohngesellschaft ProPotsdam im ersten Mietjahr ein ÖPNV-Jahresticket. [caption id="attachment_1362" align="alignleft" width="173"]Foto: Stadtplanungsamt Darmstadt, 2018 Haltestelle Shuttlebus Lincoln-Siedlung, Darmstadt[/caption]

Kurze Wege

Im Gegensatz dazu steht die Lincoln-Siedlung im Süden von Darmstadt. Sie ist eine von vielen ehemaligen amerikanischen Siedlungen in Hessen. Nach dem Abzug der amerikanischen Streitkräfte sanierte die Stadt die Bestandsgebäude und errichtete Neubauten. Neben Mietwohnungen werden zukünftig auch mehrere Wohninitiativen dort ein neues Zuhause finden. Gerechnet wird mit einem Bevölkerungszuwachs von etwa 4000 Personen. Ein umfassendes Mobilitätsmanagement soll den dadurch drohenden Verkehrskollaps vermeiden. Das Konzept der kurzen Wege umfasst deshalb Einkaufsmöglichkeiten sowie Kitas und Schulen in direkter Nähe. Ein weiterer zentraler Baustein ist der geringe Pkw-Stellplatzschlüssel von insgesamt nur 0,65 Fahrzeugen pro Wohneinheit. Zudem gibt es Mieträder sowie eine Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge. Bei der ortsansässigen Mobilitätszentrale können sich die Bewohner beraten lassen sowie Lastenräder und E-Bikes leihen. Ein Mieterticket sowie die öffentliche Parkraumbewirtschaftung sind als weitere Maßnahmen geplant.

Alle sind gefragt

Es gibt sie also, Wohnungsunternehmen, die zusammen mit  Kommunen und Mobilitätsdienstleistern ihren Mietern Alternativen zum Privatwagen anbieten. Aber allein diese Angebote zu schaffen wird nicht ausreichen, um die Verkehrswende voranzubringen. Jede Mieterin, jede Mieter muss vielmehr seine eigenen Mobilitätsroutinen kritisch hinterfragen. Neben technologischen und organisatorischen Innovationen wie der Elektromobilität oder der Vernetzung von Verkehrsmitteln braucht es vor allem ein Umdenken aller Beteiligten. Dann erst können intelligente Mobilitätskonzepte in Wohnsiedlungen alltäglich werden.

Dr. Manuela Weber ist Expertin für nachhaltige Individualmobilität und arbeitet im Bereich „Ressourcen & Mobilität“ am Standort Berlin.

Weitere Informationen

Zum Forschungsprojekt „Wohnen leitet Mobilität“ vom Deutschen Mieterbund, Verkehrsclub Deutschland (VCD) und Öko-Institut sowie weiteren Best-Practise-Quartieren

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