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Vom Überflusskonsum zum guten Leben!

Diskussion zum Thema Konsum, beleuchtet aus verschiedenen Richtungen - gerade in der Corona-Zeit ein Grund zum Reflektieren.

Anlässlich des 40. Jubiläums des Öko-Instituts haben wir zurückgeblickt und uns gefragt, was wir in den letzten vier Jahrzehnten erreicht haben. Wie haben sich Gesellschaft und Umwelt verändert? Und wie wir selbst? Aber wir lenkten unseren Blick auch auf Heute und die Zukunft. In unserem Zukunftspapier „Heute. Morgen. Zukunft. Visionen und Wege für eine nachhaltige Gesellschaft“ haben wir versucht, diese Fragen zu beantworten. Für uns,  für die Gesellschaft und für eine Diskussion über eine nachhaltige Zukunft. In loser Folge präsentieren wir in diesem Blog einzelne Kapitel aus dem Zukunftspapier. In diesem Beitrag stellen wir unsere Vision zum Handlungsfeld Konsum vor.

Konsum umfasst Produkte und Dienstleistungen aller Art: Lebensmittel und Verbrauchsgüter ebenso wie langlebige Güter wie Wohnungen oder Mobilitätsprodukte. Für ein gutes Leben ist ein ausreichender Konsum mit hoher Qualität zentral, aber keineswegs genug. Die Ergebnisse der Glücksforschung und vieler Befragungen zu Zufriedenheit, Lebensqualität und Wohlstand zeigen, dass die Menschen über die Deckung der materiellen Bedürfnisse und Konsum hinaus mehr erwarten: Gesundheit, gute soziale Beziehungen und Zusammenhalt, mehr Zeit, ein gutes Zuhause und Umfeld, eine intakte Natur, Sicherheit, Freiheit und gesellschaftliche Teilhabe. Ab einem bestimmten Einkommen und materiellen Konsum nimmt das Wohlbefinden durch weitere Steigerungen nur noch unwesentlich zu. Dennoch konsumieren die meisten Menschen in reichen Ländern im Überfluss – ausgelöst durch den Reiz des Neuen, die Rundum-Werbung und vermeintliche Prestigegewinne. Die damit verbundenen Umweltbelastungen und Pro-Kopf-Verbräuche an Ressourcen in Deutschland sind so hoch, dass sie im globalen Maßstab nicht übertragbar sind.

Unsere Vision: Konsumbedürfnisse umwelt- und sozialverträglich decken

In unserer Vision eines nachhaltigen Konsums ermöglicht dieser die Deckung der Bedürfnisse heutiger und zukünftiger Generationen unter Einhaltung der ökologischen Belastungsgrenzen der Erde. Produkte und Dienstleistungen werden umwelt- und sozialverträglich produziert und genutzt und sind für alle Bevölkerungsgruppen erschwinglich. Der Überflusskonsum mit überaus großen Wohnungen und Autos, immer neuen Elektronikgütern und Textilien mit immer kürzeren Nutzungszeiten wurde eingedämmt, dafür nicht-materielle Wünsche der Bürger wie sozialer Zusammenhalt oder „mehr Zeit haben“ unterstützt. Dies war wegen vermeintlicher Eingriffe in die Marktwirtschaft umstritten, für eine nachhaltige Wirtschaft und nachhaltigen Konsum aber unabdingbar. Ohne eine nachhaltige Wirtschaft und ohne Transformationen in den Bereichen Energie, Mobilität, Wohnen, Ernährung und Landwirtschaft wäre nachhaltiger Konsum nicht möglich geworden. Zu unserer Vision für einen nachhaltigen Konsum gehören daher zum Beispiel sichere und bezahlbare Wohnungen, ein Gemeinschaftsleben im Quartier, kurze Wege, mehr Zeit, gesunde Ernährung und vieles mehr. Dies führt zu einem Lebensstil mit hohem Zeitwohlstand. Eine selbstbestimmte persönliche Entwicklung und soziale Teilhabe haben die prestigeorientierten Konsumstile weitgehend abgelöst. Die staatlichen Rahmenbedingungen wie die Förderung und eine gute Kennzeichnung von umwelt- und sozialverträglichen Alternativen erleichtern und ermöglichen es Verbrauchern nun, Verantwortung für die Nachhaltigkeit ihres Konsumhandelns und ihrer Lebensstile zu übernehmen.

Konsum heute

Der Konsum ist in Deutschland wenig nachhaltig, dies gilt für die Menge an konsumierten Produkten sowie für die Art der Herstellung und Nutzung und teilweise der Entsorgung. Viele Produkte sind zwar in den vergangenen zwei Jahrzehnten energie- und ressourceneffizienter geworden, dies wurde jedoch zum großen Teil durch den Konsum größerer Produkte und viele neue bzw. zusätzliche Produkte kompensiert.

Einige Beispiele:

  • Die Wohnfläche pro Kopf ist von 19,4 Quadratmetern im Jahr 1960 auf 46,2 im Jahr 2015 gestiegen.
  • Der Pkw-Bestand lag 2017 bei 45,8 Millionen. Die durchschnittliche Leistung der Pkw hat sich von 1960 bis 2016 von 32 PS auf 135 PS bei Benzinern und 163 PS bei Dieselautos vervier- bzw. verfünffacht. 30 Prozent der neu zugelassenen Autos haben heute eine Spitzengeschwindigkeit von mehr als 200 Kilometern pro Stunde.
  • Der Fleischverbrauch lag 2011 bei 87,9 Kilogramm pro Kopf und Jahr und damit doppelt so hoch wie der weltweite Durchschnittsverbrauch von 42,4 Kilogramm. Der Fleischverzehr ohne Knochen, Häute etc. lag bei rund 60 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Der von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung aus gesundheitlichen Gründen empfohlene maximale Verzehr liegt bei 15 bis 30 Kilogramm.
  • In Deutschland werden pro Kopf und Jahr 248 Kilogramm Papier verbraucht, in Indien liegt dieser Wert bei 9, im weltweiten Durchschnitt bei 57 Kilogramm. Das waldreiche Deutschland ist zweitgrößter Papier- und drittgrößter Zellstoffimporteur der Welt.

Hinzu kommt, dass unser ressourcenintensiver Lebensstil zu einem erheblichen Teil mit einer Rohstoffförderung verbunden ist, die zu Umweltbelastungen, Gesundheitsgefährdung von Menschen und Missachtung von Menschenrechten in Entwicklungs- und Schwellenländern führt. Wenig Erfolg hatten bislang Bildungs- und Informationsinstrumente, auf die der Staat für den nachhaltigen Konsum vor allem setzt. In den meisten Konsumbereichen liegen die Anteile an ökologischem Konsum – siehe etwa Passivhäuser, Biolebensmittel oder Carsharing – bei einem bis fünf Prozent. In der staatlichen Beschaffung sieht es nicht viel besser aus. Die geringe Bedeutung von ökologischem und nachhaltigem Konsum lässt sich zum Teil durch ungünstige Infrastrukturen und Umfeldbedingungen, schlechte Verkehrsanbindungen oder fleischbetonte Angebote in Kantinen erklären. Diese Dinge führen meist zu einer geringen Alltagstauglichkeit und einem höheren Zeitaufwand für nachhaltigere Alternativen. Aber auch das geringe Interesse vieler Konsumenten und das Festhalten an alten Gewohnheiten tragen zur geringen Bedeutung von nachhaltigem Konsum bei. Dabei ist ökologischer und nachhaltiger Konsum deutlich kostengünstiger: Mit weniger Wohnraum, kleineren Autos, Carsharing und dem Fahrrad kann man viel Geld sparen. Energieeffiziente Haushaltsgeräte haben zwar einen höheren Kaufpreis, aber entsprechend niedrigere Betriebskosten. Nur Biolebensmittel sind im Schnitt wirklich um etwa 20 Prozent teurer. Die Mehrkosten können jedoch durch eine Umstellung auf eine gesunde Ernährung mit geringerem Fleischverbrauch kompensiert oder durch die Einsparungen bei den anderen Produkten getragen werden. Die oben beschriebene Konsumsituation gilt natürlich nur für den Durchschnitt der Verbraucher. In den verschiedenen Bereichen nutzen jeweils einige Prozent von ihnen ökologische oder nachhaltige Produkte und Dienstleistungen, entwickeln sie zum Teil mit und fördern sie über soziale Innovationen. Bioläden, Slow Food oder Carsharing sind erfolgreiche Beispiele der vergangenen Jahrzehnte, Mehrgenerationenhäuser oder Bürgerbusse sind neuere Beispiele. Damit diese Verhaltensweisen bei der Mehrheit der Konsumenten ankommen, ist aber eine Veränderung der Rahmenbedingungen erforderlich.

Trends und Entwicklungen

Nachhaltiger Konsum wurde in den vergangenen zehn Jahren von der Politik aufgewertet und wird als Teil der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie ressortübergreifend verstanden. Verschiedene Förderprogramme sollen zudem nachhaltigen Konsum auf verschiedenen Ebenen beleuchten und voranbringen, so etwa im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative oder durch das vom Bundesforschungsministerium aufgelegte Konzept der sozial-ökologischen Forschung, bei dem Konsumenten und Unternehmen als Schlüsselakteure für nachhaltige Transformationen verstanden werden. Beobachtet man allerdings das reale Marktgeschehen und Konsumverhalten, wirken viele Trends und Entwicklungen nachhaltigeren Lebensstilen entgegen oder sind ambivalent zu bewerten.

Beschleunigter Konsum

Der Konsum hat sich in den vergangenen Jahren stark beschleunigt und ist heute geprägt von schnellen Erneuerungszyklen, immer neuen Produkten, Modellen und Varianten, die in immer kürzeren Zeiträumen auf den Markt gebracht werden. Vorhandene Produkte werden von Verbrauchern oft durch neue Produkte ersetzt, bevor sie das Ende ihrer technisch möglichen Lebensdauer erreicht haben. Bei Textilien gibt es inzwischen zwölf statt wie früher zwei Kollektionen jährlich, Elektronikprodukte wie Smartphones werden nur kurze Zeit genutzt, um dem neuesten Modell zu weichen, der Markt für Baby- und Kinderartikel wächst, obwohl die Zahl der Kinder in Deutschland zurückgeht. Infolge der Digitalisierung erhöht sich die Anzahl elektronischer Produkte stark. Auch Produkte, die bislang rein analog waren, sind heute mehr und mehr mit Elektronik ausgestattet, zugleich wird die Elektronik immer umfangreicher. Kühl- und Gefriergeräte, Waschmaschinen oder Fernseher werden immer größer und bieten mehr Funktionen wie Eiswürfelbereitung, Schnell- und Auffrischprogramme oder zusätzliche Datenverarbeitungsfunktionen. Trotz Effizienzgewinnen nehmen der Energie- und Ressourcenaufwand für die Herstellung und Nutzung dieser Geräte absolut gesehen zu. Mit dem schnellen Wandel von Technologien und Produkten sind Verbraucher überfordert, vor allem aber die Behörden in Bezug auf Kontrolle, Transparenz und Regulierung.

Ernährungsstile

Die ständige Verfügbarkeit von verschiedenen Obst- und Gemüsesorten aus aller Welt ist selbstverständlich geworden. Regionalität, Saisonalität und das Schätzen geschmacklicher Qualität werden verlernt. Im Trend liegen abgepackte, vorgeschnittene und -gekochte Convenience-Produkte. Lebensmittel erhalten verschiedene Funktionen für unterschiedliche Zielgruppen, „Functional Food“ soll Gesundheit oder Fitness verbessern.

Verhindernde Strukturen

Neben diesen nur beispielhaft dargestellten Trends müssen ebenso Strukturen berücksichtigt werden, die auf unterschiedlichen Ebenen den Wandel hin zu einem nachhaltigen Konsum und zukunftsfähigen Lebensstilen behindern. Dazu gehören materielle Infrastrukturen wie die auf Automobilität zentrierte Verkehrsinfrastruktur oder soziale und zeitliche Strukturen. So treibt etwa die zunehmende Flexibilisierung des Arbeitens die Nachfrage nach hochverarbeiteten und abgepackten Convenience-Produkten sowie Lebensmitteln „to go“ an. Auch Märkte und Preise wirken einem nachhaltigeren Konsum entgegen: Häufig fehlt es an attraktiven und gut erreichbaren Angeboten, während nicht-nachhaltiger Konsum einfach möglich ist. Darüber hinaus führt die nicht vorhandene Internalisierung externer Kosten bei vielen Produkten und Dienstleistungen zu einem Preisvorteil der nicht nachhaltigen Alternative.

„Prosuming“ und kollaborative Konsumformen

Verbraucher wandeln sich immer stärker von reinen Käufern zu Mit-Produzenten, so genannten Prosumern, und Mit-Händlern. Informations- und Kommunikationstechnologien unterstützen diesen Prozess, der unterschiedliche Formen annehmen kann. Reparierte, wiederaufbereitete und gebrauchte Produkte werden im Massenmarkt etabliert. Dienste wie Airbnb oder Uber erlauben die Vermarktung der eigenen Wohnung oder des eigenen Fahrzeuges. Mit Photovoltaik-Anlagen wird selbst Energie erzeugt. Traditionelle Formen der Eigenproduktion wie Gartenbau, Selbstbau am Eigenheim oder Hobbykeller werden durch neue Varianten wie Urban Gardening, Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften oder Repair Cafés ergänzt. Kollaborative Produktions- und Finanzierungsformen wie Crowdsourcing und -funding bringen neue Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle wie den verpackungslosen Supermarkt hervor. Statt Produkte und Dienstleistungen nur marktförmig zu beziehen, wird untereinander geteilt und getauscht. Verbunden damit sind Chancen und Risiken für die Nachhaltigkeit. Persönliches Engagement kann Dienstleistungen ermöglichen, die aufgrund ihrer Arbeitsintensität auf dem Markt nicht konkurrenzfähig wären. Andererseits können ungesicherte, prekäre, ja ausbeuterische Arbeitsformen im Bereich der Klein- und Scheinselbständigkeit entstehen wie bei Uber. Unter Umständen sind diese dann zudem geschlechtshierarchisch organisiert. Die neuen Angebote können neue Bedürfnisse wecken und damit eine Konkurrenz um Ressourcen herbeiführen, die soziale Verwerfungen mit sich bringt. Das zeigt sich etwa im Fall der zunehmenden Anmietung von Wohnungen, die über Airbnb als lukrative Ferienwohnungen vermarktet werden können und damit den Wohnraummangel verschärfen. Eine sorgfältige Fall-zu-Fall-Bewertung der ökologischen und sozialen Folgen dieser neuen Ökonomien ist nötig, die Herausforderungen für nachhaltige Rahmenbedingungen sind groß.

Zentrale Maßnahmen

Voraussetzung für nachhaltigen Konsum sind zum einen die in der Einführung beschriebenen zentralen Maßnahmen wie etwa die Internalisierung externer Kosten oder die Eindämmung von Überflusskonsum. Darüber hinaus sind ein Strukturwandel in den Bereichen Energie, Mobilität, Wohnen, Landwirtschaft und Ernährung sowie die Schaffung von gesetzlichen Rahmenbedingungen, die nachhaltigen Konsum unterstützen, notwendig – so zum Beispiel modifizierte Verkehrsregeln zugunsten des Radverkehrs. Schließlich brauchen wir für einen nachhaltigen Konsum auch gezielte Maßnahmen, die speziell auf diesen Querschnittsbereich zugeschnitten sind. Dazu gehören:

  • Ein Informationsportal für nachhaltige Produkte und Dienstleistungen mit hoher Qualität und eine Bewertung relevanter Einzelprodukte. Dieses muss durch staatliche Finanzierung langfristig gesichert und darf nicht von Werbung abhängig sein.

    Anregungen dafür gibt EcoTopTen, das Portal des Öko-Instituts für ökologische Spitzenprodukte: www.ecotopten.de.

     

 

  • Eine Reduzierung der Vielfalt von Nachhaltigkeitslabeln auf wenige unternehmensunabhängige und überprüfte Label wie das Umweltzeichen Blauer Engel, das Biosiegel, die Energieeffizienzkennung und das Fairtrade-Siegel. Letzteres sollte auch auf technische Produkte wie Computer, Smartphones oder Fernsehgeräte ausgeweitet werden. Licht in den „Labeldschungel“ bringt heute die Website label-online.de der Verbraucher Initiative e.V.

     

 

  • Die Ausweitung und Verschärfung der produktbezogenen Gesetze, vor allem der Ökodesign-Richtlinie. Die Anforderungen an Produkte müssen hier über ihren Energieverbrauch hinausgehen und auch andere Umweltaspekte wie Rohstoffe oder Chemikalien vertieft einbeziehen. Bei der Berechnung der Gesamtkosten – die Bilanz aus Anschaffungs- und Betriebskosten – müssen externe Kosten einbezogen werden. Effizienzbezogene Grenzwerte müssen bei zunehmender Produktgröße verschärft werden.
  • Einkommensschwache Haushalte, die durch eine Internalisierung externer Kosten oder Umweltauflagen finanziell schlechter gestellt werden, sollten finanziell entlastet werden – zum Beispiel durch ÖPNV-Freikarten in Verbindung mit einer Mobilitätsberatung oder durch einsparorientierte Förder- und Beratungsprogramme wie den Stromsparcheck.

    Plattformen wie Uber und Airbnb stehen zu diesem Punkt immer wieder in der Kritik - hier braucht es entsprechende Rahmenbedingungen

     

 

  • Bei neuen Dienstleistungen und Geschäftsmodellen, die Konsumenten als Produzenten, Händler oder Anbieter einbeziehen, muss informatorisch und notfalls gesetzlich dafür gesorgt werden, dass die Prosumenten nicht zu sozial unabgesicherten Kleinunternehmern werden oder hohe finanzielle Risiken übernehmen müssen.

 

Zur gesamten Jubiläumsschrift „Heute. Morgen. Zukunft. Visionen und Wege für eine nachhaltige Gesellschaft“ des Öko-Instituts

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